Weniger Kosten – mehr Qualität.

Mit der Entwicklung netzunabhängiger Mehr-Spur-Rekorder für Film- und Fernsehproduktionen haben sich die Möglichkeiten bei der Originaltonaufnahme grundlegend verändert. Wegen des höheren Anschaffungspreises hat sich die neue Technik aber immer noch nicht als Standard etabliert. In Deutschland nutzen bisher nur wenige Tonmeister die Vorteile der digitalen Mehrspuraufnahme

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Weniger Kosten – mehr Qualität.

MEDIEN BULLETIN sprach mit Filmtonmeister Michael Wollmann über seine Erfahrungen und den sinnvollen Einsatz dieser Technik – die oftmals als zu kostspielig angesehen wird. Dies sei jedoch ein Irrtum, denn Produktionen können im Endeffekt dadurch sparen und zudem die Qualität des Originaltons deutlich steigern.

Welche Veränderungen und welchen Nutzen bringt die Mehrspurtechnik am Set?
Die Vorteile der Mehrspurtechnik sind sehr vielseitig und ermöglichen es, den wachsenden Ansprüchen des hoch technisierten Publikums gerecht zu werden. Mit der Mehrspurtechnik habe ich nicht nur die Option der Stereo- beziehungsweise Surround-Aufnahme in herausragender Qualität.

Der für mich größte Vorteil besteht darin, bei Dialogbildern jedes benötigte Mikrofon auf einer separaten Spur aufnehmen zu können. Damit sind viele der alltäglichen Tonprobleme am Set gut in den Griff zu bekommen. Bei der im Moment praktizierten Zweispur-Aufnahme wird der Dialog auf eine Spur zusammengemischt, oder die Sendermikrofone werden alle gemeinsam auf der einen Spur aufgenommen, während auf der anderen Spur die Signale der Tonangel und Raummikros zusammengefasst werden. Hieraus entsteht oft die Problematik des Phasings. Außerdem können Störgeräusche an den Ansteckmikros nicht mehr vom eigentlichen Dialog getrennt werden. Wenn also zum Beispiel eines der Ansteckmikrofone Probleme macht, während mit dem anderen Anstecker der eigentliche Dialog aufgenommen wird, ist der Mixdown auf einer Spur unbrauchbar – der Take muss wiederholt oder synchronisiert werden. Bei der Mehrspurtechnik hat man nun den Vorteil, dass man im Schneideraum mit dem Mixdown arbeitet, der ja wie bei der Zweispur-Technik in 90 Prozent der Fälle wunderbar funktioniert.

Bei den Takes, die aber verbesserungswürdig sind, hat die Postproduktion auf alle Einzelspuren Zugriff und kann den Originalton „putzen“. Phasing-Probleme lassen sich oft nur durch die Bearbeitung der Einzelspuren lösen. Auch der Raumklang ist über Einzelspuren besser in den Griff zu bekommen, das Sound-Design kann den Originalton besser für die Mischung vorbereiten. Das ist natürlich mit einem Mehraufwand bei der Tonbearbeitung verbunden, dem aber die Zeitersparnis am Drehort und die bessere Tonqualität entgegenstehen. Der Kosten- und Zeitdruck am Set wird immer größer, die Welt wird immer lauter; da muss man schon mit anderen Geschützen auffahren als zu Mono-Fernsehzeiten.

Für mich als Filmtonmeister ist es heutzutage wichtiger denn je, die technisch beste Qualität herstellen zu können. Das dramaturgische Potenzial von gut aufgenommenem und optimal bearbeitbarem Originalton ist nicht zu unterschätzen. Der nachsynchronisierte Ton aus dem Studio klingt oft zu sauber und „lebt“ nicht mehr. Und auch beim „Synchron“ entstehen Mehrkosten.

Dann ist also nicht der oft zitierte Widerstand aus dem Schneideraum ausschlaggebend dafür, dass die Mehrspurtechnik sich nicht als Standard etabliert, sondern vielmehr Betriebswirte, die nicht miteinander kommunizieren?
Die Gründe sind sehr vielschichtig. Bei den ersten Projekten, die tonseitig mit Mehrspurtechnik gedreht wurden, mangelte es an der Kommunikation zwischen Filmtonmeister, Schneideraum und Postproduktion. Plötzlich schwappte eine unüberschaubare Flut von Einzelspuren in den Schneideraum. Inzwischen hat sich die Situation „entspannt“. Zusammen mit Cutter-Assistenten, Cuttern und Sound-Designern habe ich schon vor Jahren einen gut funktionierenden Workflow erarbeitet, der bis heute reibungslos funktioniert. Ich bespreche schon vor dem Dreh mit allen Beteiligten die besten Optionen in puncto Arbeitsqualität, Kompatibilität und Sound-Design. Ich arbeite mit selbst entwickelten Tonberichten fürs Mehrspur-Recording, mit denen sich sowohl Cutter als auch Sounddesigner in den Einzelspuren einfach zurechtfinden. Um auf den betriebswirtschaftlichen Aspekt zurückzukommen, sei hier erwähnt, dass die Mehrspurrekorder nur einige Euro mehr im Verleih kosten als die budgetierten Zweispur-Rekorder.

Ich denke, dass ein Grund für das „Nichterkennen der Vorteile“ darin liegen dürfte, dass nach Abschluss der Dreharbeiten die Kassenbücher der Produktionsleiter oft schon geschlossen sind, wenn die Postproduktion beginnt. Dort wird meistens aus einem anderen Topf geschöpft. Würde man an dieser Stelle nachrechnen, würde man rasch merken, dass die Mehrkosten für die Mehrspurtechnik auch dazu führen, die Synchronkosten zu senken. Und fürs Sparen bekommt man auch noch bessere Qualität. Wenn das kein Deal ist.

Welche Gründe gaben den Ausschlag, sich für den Aaton Cantar × zu entscheiden?
Bis vor vier Jahren habe ich mit zwei Nagras gearbeitet. Eine Nagra 4.2 und eine Timecode Stereo Nagra, die ich nur für Stereoatmos und Playback eingesetzt habe. Ich bin mit analoger Monoaufzeichnung groß geworden. Wichtig war mir, eine ordentliche Sättigung aufs Band zu bekommen, einen Limiter zu haben, mit dem man gut arbeiten kann. Ich wollte ein robustes Gerät, das von -40 bis +60 Grad zuverlässig arbeitet und an dem jeder Schalter funktioniert, wenn ich ihn drücke. Kurzum: Ich habe mich immer gewehrt, ein Gerät zu kaufen, das nicht mindestens so gut und zuverlässig ist wie meine Nagra. Ich habe viele Geräte, die der Markt hervorgebracht hat, ausprobiert. Als der erste professionelle DAT-Recorder erschien, war ich einer der ersten, der die neue Technik ausprobierte.

Auch die bekannten Hard-Disc-Recorder habe ich auf Herz und Nieren geprüft. Aber ich bin immer wieder zur Nagra zurückgekehrt. Einzig der Aaton Cantar × hat mich schließlich überzeugt. Mittlerweile besitze ich zwei Cantar, einen habe ich im Verleih. Die Prioritäten dieses Recorders sind optimal auf die Ansprüche beim Filmton ausgelegt. Er bietet hervorragende technische Werte, eine kompakte Bauweise und das in einem robusten Gehäuse, bei dem alle Bedienelemente staub- und spritzwasserfest sind. Der Cantar × ist für mich die perfekte Unterstützung für den „Kampf um den guten Originalton“, den man als Filmtonmeister täglich austrägt, und nicht etwa ein weiterer Studio-Festplatten-Recorder, der für den Außeneinsatz umgebaut worden ist. Der Limiter des Cantar arbeitet nicht nur als Übersteuerungssicherheit in einem großen Bereich verzerrungsfrei, sondern hilft mir auch bei Fernsehproduktionen auf sehr unauffällige Art die Signale zu komprimieren. Außerdem sind die Mikrofonvorverstärker unübertroffen gut. Im Gegensatz zu anderen Field-Recordern ist auch der Kopfhörervorverstärker sehr gut, und die Maschine verbraucht extrem wenig Strom. Die beiden Akkus halten bis zu 15 Stunden und bringen mich unter normalen Umständen locker über einen Drehtag.

Der größte Vorteil des Cantar × ist aber meines Erachtens der kleine integrierte Sechsspur-Mischer, mit dem ich ohne externes Mischpult den Mixdown auf ein oder zwei Spuren direkt am Gerät herstellen kann. Am Anfang war der Umgang mit den kurzen Fadern gewöhnungsbedürftig, aber inzwischen kann ich mir keine bessere Lösung mehr vorstellen. Ich arbeite seit vier Jahren ohne externes Mischpult. Für mich ist der Cantar wie ein Instrument, das mir in die Hände gewachsen ist. Bei den ersten Geräten gab es mal ein Problem beim Datenkabel für das Display – ein Schwachpunkt, der jetzt ausgemerzt worden ist. Das hat mich übrigens damals auch betroffen. Es war an einem Samstag, wir drehten gerade „The Last King of Scotland“ in Uganda, als das Display ausfiel. Mein langjähriger Service-Partner Ambient Recording aus München hat erstklassig gearbeitet; innerhalb kürzester Zeit hatte ich mein Ersatzgerät am Set. Ansonsten hat mich der Cantar × auch in extremen Situationen nie im Stich gelassen. Auch der Support von Aaton in Frankreich ist vorbildlich und ist über ein sehr aktives Forum immer direkt am Puls seiner Cantaristen. Ich kenne keinen, der nach dem Cantar auf ein anderes System umgestiegen ist.

Wird noch ein Backup-System eingesetzt?
Ich nehme zunächst auf die interne Festplatte auf, überspiele allabendlich mit dem internen Brenner auf DVD und sichere die Daten noch mal auf einer externen Fire Wire-Festplatte. Diese hebe ich bis nach Abschluss der Produktion auf. Erst wenn der Sound-Designer sein abschließendes O.K. gegeben hat, lösche ich die Daten. Es könnte ja auch mal ein Schnittplatz versagen oder die DVDs verschwinden. Zukünftig werde ich parallel einen externen CF-Kartenleser während der Aufnahme mitlaufen lassen. Damit habe ich immer einen aktuellen Backup. Außerdem erspart mir das, jeden Abend nach Drehschluss noch die DVDs zu brennen, das dauert immerhin 20 Minuten. Die CF-Karten bekomme ich dann vom Schneideraum rotierend wieder zurück.

Ton – und insbesondere Filmton – wird unterbewusst wahrgenommen. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass schlechter Ton den Zuschauer zur Fernbedienung greifen lässt. Gibt es eine Tendenz bei den Produzenten, die Belange des Tons hinsichtlich der Anforderungen und der Budgetierung zu erkennen und entsprechend zu reagieren?
Nun, in immer mehr Wohnzimmern stehen heute oft sehr gute Surround-Anlagen und große Flachbildschirme. Die Ansprüche der Zuschauer steigen und werden von vielen Sendern noch nicht bedient. Man kann keine Surround-Produktion erwarten, ohne das Tonbudget anzupassen. Wenn der Zuschauer nicht das hört, was er sieht, wird der Finger an der Fernbedienung nervös. Immer mehr Filmliebhaber genießen ihren Abend lieber mit einer DVD, wo sie die Technik genießen können, die sie für teures Geld gekauft haben. Wer hört schon gerne mono-kompatibles Pseudo-Stereo, wenn seine 7.1 Anlage im Leerlauf rauscht?! Wir Tonschaffenden – von der Aufnahme bis hin zur Mischung – könnten alle viel bessere Qualität mit bestehender Technik leisten, wenn man uns nur lassen würde.

Viele Tonverantwortliche bringen aus persönlichem Anspruch an ihren Job mehr Tonequipment zu den Dreharbeiten mit, als ihnen bezahlt wird – würden Sie dieser Behauptung beziehungsweise dieser Beobachtung zustimmen?
Ja, ich denke das kann man so sehen. Ich habe in meine gesamte Ausrüstung zirka 90.000 Euro investiert, um für alle Anforderungen optimal gewappnet zu sein. Ein wirtschaftlich kalkulierender Kollege kann aber auch mit einem 20.000 Euro teuren Equipment ganz passablen Ton abliefern. Vielleicht nicht unter allen Umständen in guter Qualität, aber in ausreichendem Rahmen.
Der Kollege hat also sein Equipment recht schnell abbezahlt, die Kollegen mit Anspruch investieren mehr, gehen aber dafür am Abend mit dem Gefühl heim, das Beste herausgeholt zu haben. Für mich sehe ich das als eine Investition in meine Lebens- und Arbeitsqualität, und Gott sei Dank gibt es auch genügend Produzenten, Produktionsleiter und Regisseure, die sehr wohl den Unterschied zwischen gutem und ausreichendem Ton zu schätzen wissen und die paar Euro drauflegen. Ich hoffe, diese Tendenz ist steigend.

Bewusstsein schärfen
Wo könnte man Ihrer Meinung nach das Arbeiten beim Filmton verbessern, ohne jedes Budget zu sprengen?

In erster Linie geht es darum, das Bewusstsein für den unterbewussten Ton zu schärfen. Wenn sich die Verantwortlichen einig sind, dass der Filmton ein wichtiges dramaturgisches Instrument ist, das bei der Aufnahme am Set beginnt und nach vielen Stationen der Postproduktion in der Mischung endet, ist schon viel passiert. Mit vergleichsweise geringem finanziellem Einsatz kann eine deutliche Steigerung der Tonqualität erzielt werden. Wichtig hierbei ist auch die Kommunikation unter den Gewerken. Das beginnt mit einer Workflow-Besprechung vor Drehbeginn, damit ich als Tonmeister weiß, welches Konzept das Sounddesign erfordert und die Töne reibungslos durch die einzelnen Arbeitsstationen geschleust werden können, ohne zu viel Arbeit zu machen.

Auch die Kommunikation vom Filmtonmeister zum Sounddesigner ist wichtig. Die neue Fülle der Tondaten muss verwaltbar und durchschaubar bleiben. Hier hilft ein aussagekräftiger Tonbericht und auch eine gemeinsame O-Ton-Kontrolle kann viel Arbeit, „Synchron“ und Kosten sparen. Wenn ich nicht gerade drehe, verwende ich übrigens einen Teil meiner Freizeit damit, bei der Postproduktion anwesend zu sein. Ich sehe das als Teil meiner persönlichen Fortbildung. Außerdem bin ich der Meinung, dass die Teamarbeit des Tonmeisters nicht mit dem Drehende aufhört. Eine Zusammenarbeit aller „Tonschaffenden“ ermöglicht nicht nur effektiveres Arbeiten, sondern auch eine bessere Qualität und mehr Bewusstsein für die Anforderungen der einzelnen Gewerke. Auch bei Motivbesichtungen wird immer weniger Wert auf die Anwesenheit eines Tonmeisters gelegt: Zu teuer! (lacht). Dabei wird unsere Welt ständig lauter, und keiner hört hin. Erst bei der Mischung ist die Enttäuschung dann groß. Wichtig ist ebenfalls, dass die Postproduktion abschließend den Produktionsleitern mitteilt, ob der Originalton gut ist oder nicht – egal, welche Umstände auch immer dafür verantwortlich waren.

Ich bin der Überzeugung, dass lebendiger Originalton, der nicht der Verständlichkeit zuliebe zu Tode gemischt wird, wichtig ist. Schon der Tonmeister am Set muss wissen, was er macht und was die Postproduktion braucht, um Arbeiten zu können. Der Sounddesigner muss wissen, was auf ihn zukommt, und schließlich darf der Mischtonmeister nicht zu sehr an die technischen Grenzen getrieben werden, um später noch einen natürlichen Ton (re)-produzieren zu können.

Wie sehen Sie die Ausbildungsmöglichkeiten für Filmtonmeister in Deutschland. Wird dieses Berufsbild gebührend gefördert?
Eine gute Frage, die leider nicht nur den Beruf des Filmtonmeisters betrifft. Das Problem ist zum einen die Tatsache, dass sich jeder Tonmeister nennen kann, weil es keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Oft sieht man Kollegen auf dem Markt, die nicht einmal ausreichend Erfahrung als Assistent gesammelt haben und ihre Ausbildung während der Berufsausübung machen. Die daraus resultierende Tonqualität ist oft um ein Vielfaches teurer als die Mehrkosten für einen erfahrenen Kollegen. Auf den meisten Schulen geht es hauptsächlich um die technischen Möglichkeiten im Studio oder es geht ums Sound-Design an sich. Wo werden die Tricks und Tücken der Filmtonaufnahme gelehrt? Der Tonmeister erstellt Konzepte für die unterschiedlichsten Aufnahmesituationen, und es geht um die „feinstoffliche Bearbeitung“ von Originalton und die Kompetenz, den Schauspielern bis an die tontechnischen Grenzen alle Möglichkeiten zu lassen, und überdies auch darum, das Sound-Design schon bei der Aufnahme zu berücksichtigen. Ich würde meine Arbeitsweise zum Beispiel entsprechend anders ausrichten, wenn ich ein sozialkritisches Drama oder eine Sience-Fiktion-Komödie drehen soll.

Dramaturgische Kenntnisse sind für unsere Arbeit absolut wichtig! Ich behaupte, dass der technische Aspekt meines Berufs maximal 20 Prozent ausmacht und ansonsten aus Diplomatie, Dramaturgie, Psychologie und Erfahrungswerten besteht. Mit Sicherheit könnten erfahrene Filmtonmeister als Tondozenten an den Filmhochschulen den werdenden Regisseuren, Schauspielern und Kameramännern helfen, auf die besonderen Aspekte des Filmtons aufmerksam zu machen und das Arbeiten am Set zu erleichtern. Zur Ausübung des Berufes gehört meines Erachtens eine fundierte technische Ausbildung an Schulen für tontechnische Berufe in Verbindung mit Praktika in der Postproduktion. Nach einigen Jahren als aufmerksamer Assistent und Tontechniker am Drehort kann man dann auch schon die ersten Filme wagen. Eine klar definierte Ausbildung als Filmtonmeister gibt es meines Wissens nach noch nicht, und so heißt es auch weiterhin wie bei anderen Filmberufen: Learning by Doing!
Harald Heckendorf
(MB 02/08)