Anders als traditionelle Mischer

IP- und IT-basierte Technologien gewinnen überall in der Broadcast-Welt zunehmend an Relevanz. Auch die Live-Produktionsmischer sind davon betroffen. Auf der NAB 2015 präsentierte EVS mit dem DYVI-System eine zukunftsweisende Lösung, die aus Standard-IT-Komponenten und Software besteht. MEDIEN BULLETIN sprach darüber mit SVS-Programm-Manager Alfred Krug.

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Anders als traditionelle Mischer

›Das belgische Unternehmen EVS Broadcast Equipment hat Anfang des Jahres die Scalable Video Systems GmbH (SVS) in Weiterstadt komplett übernommen. Dieses Unternehmen wurde von 13 ehemaligen Grass Valley Ingenieuren gegründet, die schwerpunktmäßig an der Entwicklung der Bildmischer von Grass Valley und den Vorgängerfirmen des Unternehmens beteiligt waren. Mit ihrem geballten Know-how machten sie sich an die Entwicklung eines völlig neuen Mischerkonzepts. Das Ergebnis ist das DYVI Live Production System, das erstmals auf der IBC 2013 als Betaversion vorgestellt wurde und bereits zu diesem Zeitpunkt auf große Aufmerksamkeit stieß. Für ihr ambitioniertes Projekt brauchten die Weiterstädter Entwickler einen finanziellen und strategischen Partner. Mit EVS fand man ihn. Im Mai 2013 übernahm der Hersteller von Live Video-Produktionssystemen zunächst 25 Prozent der SVS-Anteile und im Januar 2015 schließlich auch die restlichen 75 Prozent. Bei EVS geht man davon aus, dass DYVI in den nächsten Jahren „die Welt der Live-Produktion revolutionieren wird“, wie Marketing-Direktor Nicolas Bourdon auf der NAB 2015 erklärte. Grund dafür sei die einzigartige IT- und Software-basierende Architektur des Systems. Live-Produktionen würden dadurch extrem skalierbar, was ein hohes Maß an Flexibilität in jeder Live-Produktionsumgebung und damit auch ganz neue, kreative Möglichkeiten eröffnen würde. Der neue Produktionsmischer wurde zur NAB im 4k-Live-Produktionsworkflow im Zusammenspiel mit EVS-Servern und -Editing-Lösungen gezeigt.

Das Besondere an DYVI ist laut SVS-Programmanager Alfred Krug die Trennung von Bedienteil und Prozessoreinheit. Damit werden Remoteproduktionen mit verteilten Teams über mehrere Standorte hinweg deutlich vereinfacht. „Dass man ein Mischpult absetzen kann, ist nicht Neues. Nur diese monolitische große Einheit, die bislang dabei das Prozessing gemacht hat, wurde bei DYVI nun im Prinzip in einzelne Module zerlegt, die man nach Bedarf zusammenstellen kann. Wenn man mehr Quellen hat oder mehr Ausgangsleistung braucht, etwa für sehr komplexe Produktionen, kann man einfach mehr Module hinzu fügen, und die können sich an unterschiedlichen Standorten befinden. Diese, für eine Produktion zusammengestellte Kombination von DYVI-Komponenten, stellt sich dann dem Anwender wie ein einziges Prozessingsystem dar“, erklärt Krug.

Ein DYVI-Prozessormodul (PM) verfügt über 24 Eingänge und sechs Ausgänge oder über 16 Eingänge und zwölf Ausgänge und ein sehr leistungsstarkes Bildmischer-Prozessing. Bei den Processing-Modulen handelt es sich um Standard-IT-Komponenten mit sehr hoher Rechenleistung, die über Glasfaserleitung miteinander vernetzt werden. „Da solche Prozessoreinheiten in großen Stückzahlen und hoher Qualität auf dem Markt verfügbar sind, hat man den Vorteil, dass man sich wenig um die Hardwarequalität kümmern braucht. Und wir profitieren von der permanenten Weiterentwicklung der benötigten Standard-IT-Komponenten wie Motherboards, Prozessoren oder Grafikkarten“, sagt Krug. Bei DYVI würde keine dedizierte Processing-Hardware mehr genutzt, sondern alle Prozesse auf Software-Basis gesteuert. „Als Processing-Einheit fungiert die GPU (Grafikprozessor). Damit ist man nicht mehr an Hardwarestrukturen gebunden, wie das bei den klassischen Mischern der Fall ist.“ Dies habe natürlich großen Einfluss auf die Bedienbarkeit und die kreativen Möglichkeiten, die ein Mischpult-Operator bei einer Produktion habe. Die eingesetzten Processing-Module lassen sich sehr flexibel über ein oder mehrere DYVI-Bedienpanel, die auch über integrierte Multiviewer-Option verfügen, per Menüsteuerung und zwei 7“-Touchscreens kontrollieren. „Das Setup für eine Produktion funktioniert hier wie bei Photoshop ganz einfach per Drag-and-Drop“, sagt Krug.

Standardmäßig unterstützt das System SDI mit 1,5 und 3 Gig. Die Interfaces werden durch proprietäre SDI-Steckkarten bereitgestellt. „Sollten sich andere Standards entwickeln, etwa Richtung SMPTE 2022 oder was auch immer, könnten wir die dabei nötigen Interfaces einfach adaptieren. Die DYVI-Architektur ist da völlig offen. Man ist als Kunde hier nicht festgelegt“, betont Krug. Auch ließen sich die SDI-Karten jederzeit auch durch Netzwerkkarten ersetzen. Bisherige Käufer des DYVI-Systems sind die niederländischen Unternehmen Dutchview und Infostrada Creative Technology sowie Gearhouse. Mehrere andere potentielle Kunden testen das System noch – insbesondere mit Blick auf Skalierbarkeit und Remote Production. Bislang war es produktiv jedoch noch nirgends im Einsatz. Krug geht aber davon aus, dass dies bald der Fall sein wird.

Den Einsatzbereich sieht der SVS-Manager insbesondere im Mid- und High-end-Bereich in Studios. „Wir arbeiten mit DYVI ja mit unkomprimierten Signalen und brauchen dafür hohe Bandbreiten von 40 GB, mindestens aber 10 GB“, meint Krug. Für den Remote Production-Einsatz gut geeignet seien Standorte, die heute über Glasfaser erreichbar seien, Fußballstadien zum Beispiel. „In den Stadien stehen dann die Prozessoreinheiten und vom Heimatstudio oder vom Produktionszentrum aus lässt sich eine Remote Produktion machen“, meint Krug. Heute würde Fußballspiele oft noch viel zu aufwändig mit Ü-Wagen und großen Crews produziert. Mit seinen 24 Eingängen reiche eine DYVI-Prozessoreinheit meist aus, um die Anforderungen einer solchen Produktion zu erfüllen. „Bei den Signal-Laufzeiten bewegen uns, wie auch SDI-Studios, bei rund 100 Millisekunden. Bei uns ist die Laufzeit allerdings immer konstant, egal wie viele Prozesse gerade laufen. Selbst wenn gerade zehn DVEs kaskadieren, bleibt das Delay gleich“, berichtet Krug.

Das System sei so aufgebaut, dass man sich logisch von der heutigen Mischpult-Bedienweise komplett lösen könne. Um den möglichen Berührungsängsten dabei zu begegnen habe man einen „Stage Mode“ integriert, mit dem man einen traditionellen Bildmischer und die damit verbundene Bedienweise nachbildet. „Man kann damit seine gewohnten MEs bauen – die heißen bei uns Stages – und man kann diese ganz ähnlich wie bei traditionellen Mischern miteinander kombinieren und bedienen. Aber von diesem Modus kann man sich ganz einfach weiterentwickeln und die logischen Konfigurations- und Bedien-Features nutzen, die man an der DYVI-GUI angeboten bekommt. Man muss sie aber nicht nehmen“, betont Krug. Um die vielen Vorteile des DYVI-Systems deutlich zu machen, sei noch sehr viel Aufklärungsarbeit nötig. Alle, die sich mit dem System erstmals befassten würden, seien meist schnell von dem innovativen Ansatz begeistert, der sich grundsätzlich von dem aller Mitbewerber auf dem Mischer-Markt unterscheide.

Eckhard Eckstein

MB 4/2015

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