TV-Zielgruppengeschäft

Zwar wird das lineare Fernsehen auf absehbare Zeit seine Spitzenstellung im Mediennutzungsverhalten von Konsumenten behalten. Doch gleichzeitig werden die App-Portale der SmartTV-Geräte zusätzliche Bewegtbild-Angebote für spezifische Konsumentenwünsche interaktiv und globalisiert offerieren. Das prognostiziert Jan Wendt, Geschäftsführer NetRange, im Interview mit MEDIEN BULLETIN. Die Hamburger Firma NetRange ist Pionier und internationaler Marktführer für die Entwicklung und den Betrieb von App-Portalen auf SmartTV-Geräten.

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TV-Zielgruppengeschäft

Herr Wendt, Ihre Firma NetRange hat für den größten Teil namhafter internationaler TV-Gerätehersteller die App-Portale für SmartTV aufgebaut. Offensichtlich haben Sie die ganze App-Welt der neuen TV-Generation im Griff?

Etwas im Griff zu haben, ist in Deutschland immer ein bisschen negativ belegt. NetRange hat sich aber sehr gut entwickelt. Wir sind 40 Mitarbeiter, wobei sich die Zahl unserer Mitarbeiter seit unserer Gründung jedes Jahr verdoppelt hat. Das spiegelt vor allem die Dynamik des SmartTV-Marktes wieder.

Sie bedienen mit NetRange nach eigenen Angaben weltweit 400 Kunden und sind in 69 Ländern, ob in Europa oder Asien, aktiv. Worum geht es in Ihrem Geschäft?

Wir sind in einem großen SmartTV-Geschäftsfeld und in zwei daran angelehnten Ableger-Feldern tätig. Der Bereich mit unserem größten Umsatzerfolg ist die Entwicklung und der Betrieb von SmartTV-App-Portalen. Der Bau einzelner SmartTV-Apps ist einer der beiden Ableger-Bereiche. Wir haben kürzlich die SmartTV-App des Nachrichtenmagazins Stern mit großem Erfolg gelauncht. Unser drittes Tätigkeitsfeld ist die Beratung. Zum Beispiel beraten wir einen CE-Hersteller, der Schwierigkeiten hat, Content für seine App-Portale zu finden.

Sie selber waren früher als Content-Experte in der Vermarktung von Sportrechten tätig. Was hat Sie motiviert in ein eher technisches Entwicklungsfeld einzusteigen?

Die Fokussierung unseres Geschäftsfeldes auf die Entwicklung von App-Portalen für SmartTV hat sich aus einer Folge von Zufällen ergeben. Angefangen hatte es damit, dass ich im Rahmen der Fußball-WM 2006 einen großen CE-Hersteller dabei begleitet habe, Pay-TV-Angebote mit Hardware zu bündeln. Dieser Hersteller hat sich, als er 2007 SmartTV realisieren wollte, wieder an mich erinnert, weil er wusste, dass ich Inhalte mit Hardware zusammenführen kann. Das war damals noch ein relativ unbekanntes Terrain. Für diesen Hersteller habe ich zur IFA 2008 einen Showcase für SmartTV entwickelt. In diesem Zusammenhang war mir aufgefallen, dass es bei allen TV-Geräteherstellern einen großen Bedarf für Entwicklungsarbeit rund um SmartTV gab. Und weil mein erster Kunde damit einverstanden war, habe ich begonnen diese Entwicklungsarbeit als Geschäftsfeld zu entwickeln. Damals gab es noch keine Apps für TV, auch nicht in den USA. Deshalb konnten wir nichts von dort kopieren oder anschauen. Wir haben uns in einem ersten Schritt umgehört, wer denn überhaupt Apps bauen kann. Die großen Web-Agenturen haben alle abgewunken, weil es sich um zu wenig Umsatz bei gleichzeitig großem Arbeitsaufwand handele. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, indem wir angefangen haben, Apps für SmartTV selber zu bauen. Nachdem wir dann schon einige Apps realisiert hatten, ist die Geräteindustrie zunehmend auf uns aufmerksam geworden, nach dem Motto‚ ihr macht was im Bereich SmartTV, könnt ihr nicht auch was für uns machen? Ende 2009 haben wir uns dann als Startup ausgegründet.

Das Neue war also, dass Sie Apps nicht für PC oder Smartphones, sondern speziell für TV entwickelt haben?

Genau das war der Punkt. Wir haben bei Null angefangen und am TV probiert, wie eine Navigation über die Fernbedienung aussehen könnte, indem wir eine DVD nach der anderen eingeschoben haben. Davon haben wir ganz am Anfang abgeleitet, wie man eine App aufbauen könnte. Aus dieser Pionierarbeit heraus ist unsere Domäne als App-Entwickler für das TV-Gerät entstanden. Hier kennen wir uns wie kein anderer aus.

Wann kamen denn dann beispielsweise die ersten großenTV-Gerätehersteller aus Asien auf Sie zu?

Nachdem die Firma Ende 2009 gegründet worden war, haben wir zunächst zusammen mit zwei kleineren Set-Top-Boxen-Herstellern für zwei Länder, Deutschland und Österreich, ein erstes App-Portal aufgebaut. Die ersten größeren Kunden kamen 2010 auf uns zu. Startkunde war Loewe. Zusammen mit Loewe haben wir 2010 zur IFA ein Portal in 14 Ländern gelauncht. Der ganz große Durchbruch war dann 2011. Damals haben wir unter anderem mit SES Astra und deren Marke HD+ einen Vertrag gemacht.

Mittlerweile haben alle neuen TV-Geräte auch App-Portale?

Dass alle TV-Geräte auch App-Portale haben würde ich im Großen und Ganzen für die CE Industrie so stehen lassen, wobei wir natürlich auch für Telcos, Pay-TV-Anbieter und Kabelnetzbetreiber tätig sind, die fast alle noch keine Lösung parat haben. Zudem merken erste Hersteller neuerdings, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt haben. Es gibt eine Vielfalt von Standards und Lösungen auf dem Markt. Manche Hersteller mussten zum Beispiel feststellen, dass sie aufgrund der gewählten technischen Voraussetzungen keinen Folge-Content für ihre App-Portale erhalten. Manch andere mussten feststellen, dass die Geschwindigkeit auf der Hardware nicht groß genug ist oder sie falsche technische Komponenten gewählt haben. Daher revidieren viele Hersteller in der Folge ihre Entscheidung.

Was heißt das?

Hintergrund ist, dass einige CE-Hersteller aber auch Telcos und Kabelnetzbetreiber auf proprietäre Lösungen gesetzt haben, die sie teilweise selber gebaut haben. Um einen proprietären Standard im Markt durchsetzen zu können, braucht man aber eine sehr große Reichweite von schätzungsweise mindestens fünf Millionen verkauften Geräten, wie es Apple geschafft hat. Deshalb kann Apple vorgeben, welchen Standards die Apps folgen müssen. Weil die Reichweite von Apple so groß ist, gehen App-Gestalter auf die Apple-Konditionen ein, und Apple verfügt so über laufend neue Apps. Im Bereich SmartTV erreichen die Anbieter von SmartTV-Geräten nicht immer die erforderlichen Reichweiten. Ausnahme ist hier nur Samsung. Deshalb sind sie dann für die Content-Anbieter weniger interessant und erhalten keinen Folge-Content. Aus diesem Grund müssen einige Hersteller ihre Entscheidung revidieren und sich beispielsweise uns anschließen, weil wir nachgewiesen haben, dass wir interessant für die Conten-Industrie sind und uns deshalb die Content-Partner folgen.

Und auf welchen Standard setzen Sie?

Wir haben von Anfang an auf CE-HTML gesetzt und setzen in Zukunft je nach Entwicklungsstand der Hardware auf HTML 5. Allerdings ist HTML 5 nicht immer technisch möglich, weil die Geräteindustrie unter einem starke Kostendruck steht und deshalb noch nicht die Chips verwendet, die HTML 5-fähig sind. Weil HTML 5 aber abwärtskompatibel zu CE-HTML ist, können wir jederzeit auf HTML 5 wechseln oder parallel betreiben ohne Einschränkungen im Contentportfolio.

Der Online-Abruf der App-Portale lässt sich automatisch messen. Verraten Sie uns: Wie viele Konsumenten haben sich an die App-Portale angeschlossen und welche Apps werden am meisten via SmartTV genutzt?

Wir veröffentlichen die Zahlen aus vielen verschiedenen Gründen nicht. Uns ist eines aber ganz wichtig: Wir sind in Deutschland ansässig, obwohl wir in anderen Ländern hohe Subventionen erhalten könnten. Aus steuerlichen Gründen wäre es für uns auch von Vorteil gewesen, in die Schweiz zu gehen. Wir haben uns dennoch dagegen entschieden, weil wir wissen, dass in zwei Ländern Europas der Datenschutz besonders hoch hängt, in Deutschland und in Frankreich. Das heißt: Alles, was wir tun, steht unter der strengen Maßgabe, dass wir dem deutschen Datenschutz entsprechen müssen.

Na, dann können Sie die Messergebnisse doch auch veröffentlichen!

Das werden wir sicher in Zukunft machen. Ich prognostiziere schon jetzt, dass alle VoD-Angebote in Zukunft komplett aus den PCs verschwinden und auf den SmartTV gehen. Denn es macht keinen Sinn einen Film auf Elf-Zoll-Displays zu gucken, wenn ich ihn auch auf 50-Zoll-Displays sehen kann. Kinofilme werden für die große Leinwand gemacht. Vorrangiges Ziel von NetRange ist es zunächst aber, die CE-Hersteller mit Lösungen für App-Portale und die daran anschließende Content-Belieferung zu versorgen. Da gibt es für uns noch viel zu tun. Denn obwohl so gut wie alle Hersteller versorgt sind, wechseln jetzt, wie beschrieben, erste Hersteller ihre Lösung. Die großen Hersteller überlegen, ob sie es selber machen wollen oder die Entwicklung und den Betrieb der Portale uns übergeben sollen.

Die Gerätehersteller müssen jetzt zusätzliches Geld für App-Portale ausgeben und haben mit den App-Portalen, deren Content gepflegt werden muss, auch noch eine langjährige Kundenbetreuung am Hals. Wie soll das alles refinanziert werde?

Ohne ins Detail zu gehen – genau das Problem lösen wir für den Hersteller. Das ist ein Grund für den Erfolg unserer Firma. Wir nehmen den Herstellern viele Sorgen und Nöte ab und minimieren ihr Risiko.

Noch mal: Wie kann ein Hersteller refinanzieren, was er Konsumenten mit einem App-Portal an Mehrwert bietet?

Zunächst geht es darum, dass der Hersteller oder die Telco oder der Kabelnetzbetreiber sein Gerät, beziehungsweise sein Angebot verkaufen kann. Die Refinanzierung der Mehrwerte in Form eines SmartTV App-Portals oder eines EPGs, für den der Hersteller auch bezahlt, muss zunächst allein über den Verkaufspreis oder aus dem Druck entstehen, mit dem Mitbewerber mitziehen zu müssen….

Der Wettbewerbsdruck ist doch für Hersteller ein großes Problem, weil er zu einer aggressiven Preispolitik führt, so dass keine nennenswerte Rendite im Verkauf übrig bleibt …?

Das ist richtig. Aber trotzdem müssen die Hersteller die Portale jetzt bringen. Das ist eine betriebswirtschaftliche Rechnung, die auf Seiten des Herstellers liegt. Wir minimieren für ihn aber die Kosten und stellen sie im Idealfall sogar auf null. Die Erzielung von Erlösen spielt in Zukunft natürlich auch eine große Rolle.

Sie haben ein spezielles Know-how, das Sie nicht in die weite Welt posaunen wollen?

Genau. So viel kann ich aber sagen: Bei den riesigen Verlusten, die einige Hersteller heute anhäufen, kann ich versprechen, dass sie in Zusammenarbeit mit uns massiv Kosten sparen. Und weil wir langfristige Verträge mit Content-Anbietern haben, kann man sicher sein, dass wir auch Zukunftssicherheit in Form von kommenden Erlösen bieten.

NetRange hat sich Ende 2012 zusammen mit Sportfive die VoD-Verwertungsrechte für 140 WM-Fußballqualifikationsspiele 2014, also eigenen Inhalt, besorgt. Als „Qualifiers 2014“-App soll das Angebot in die Portale von Loewe, Sharp, Thomson und Ikea eingebunden werden. Welche Strategie steckt dahinter?

Vorab: Wir legen grundsätzlich großen Wert auf Sportrechte. Es gibt viele Sportarten, die ARD/ZDF oder die Privaten gar nicht zeigen können oder wollen. Wir wollen das alles zeigen, zumal wir nicht nur für Deutschland sondern für die ganze Welt Portale betreiben. Es gibt Sportarten wie Dragsterrennen aus den USA. Das ist in Deutschland keine Sportart, die Millionen Zuschauer sehen wollen. Vermutlich gibt es aber in Deutschland 10.000 bis 15.000 Zuschauer, die es gerne sehen möchten, und noch mal 10.000 in Spanien und 5000 in Italien, die das sehen möchten und dafür auch bezahlen wollen. In der Summe ist das dann eine interessante Größe. Ein nationaler Kabelnetzbetreiber oder jemand wie Sky kann das gar nicht anbieten, weil ihnen die Bandbreiten nicht zur Verfügung stehen. Aber wir können das, weil wir über das Internet diese Inhalte auf das TV Gerät in ordentlicher Qualität bringen. Und wenn wir mit einem Sportangebot 30 nationale Zielgruppen á 50.000 bedienen, kommt bei 1,5 Millionen Zuschauern eine beachtliche Summe heraus. Hinzu kommt: Das TV-Gerät ist das wichtigste Gerät im Leben der Menschen. Es steht in der Regel im Wohnzimmer und in der Regel wird zur besten Zeit des Tages Fernsehen geguckt, nämlich morgens und abends. Es ist doch klar, dass ich dann alle Bewegtbilder vor allem auf dem Fernsehgerät gucken will, zumal es immer leistungsstärker und größer wird. Ich bin übrigens der größte Fan von linearem Fernsehen, egal ob über Kabel, Satellit oder DVB-T. Ich glaube auch für die Zukunft daran. Aber: Alle Anbieter haben Bandbreiten- und ein Vorauswahlproblem. Unsere Strategie mit der Qualifiers 2014 ist daher, Spiele und anderen Content zu zeigen, die im linearen TV durchs Raster fallen, so dass ein zusätzliches Angebot entsteht. Das lineare Fernsehen, so wie wir es kennen, wird immer die absolute Nummer 1 sein. Aber wir stellen eine Option für diejenigen zur Verfügung, die vielleicht etwas anderes sehen wollen. Das ist komplettes Neuland.

Und warum bietet NetRange seit kurzem auch eine Latenight-Comedy „Langemann“ als eigenen Inhalt an?

Markus Langemann ist ein im Süden Deutschland recht prominenter Radio-Moderator. Wir wollten speziell für SmartTV Content haben, der täglich aktuell mit Tagesbezug verfügbar ist. Das Feld Comedy liegt nahe, weil es ein dankbares Feld mit hohem Unterhaltungswert darstellt. Wir haben sehr viele interaktive Elemente rund um die Sendung eingebaut. Wir machen auch nach jeder Sendung eine kleine Umfrage und bauen Facebook und Twitter-Acounts als Social-TV-Elemente ein. Das ist eine tolle App geworden, die wir als großes Spiel- und Experimentierfeld betreiben.

Mit dieser App wollen wir aber auch vor allem Fernsehsender und Content-Provider wachrütteln und motivieren: „Macht jetzt mal was speziell für Smart TV“, denn die Reichweite ist jetzt groß genug. Der Erfolg des Formates gibt uns im übrigen Recht. Wir haben viele Anfragen, ob wir nicht das Format auch außerhalb von NetRange anbieten können.                                                                                                                                                                     Erika Butzek
(MB 03/13)

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