Umfassendes Komplettpaket

Kurz bevor Eutelsat die neue IPTV-Plattform „Mein Fernsehen“ auf der ANGA COM vorstellte, verkündete der Satellitenbetreiber den Verkauf seines Tochterunternehmens Visavision GmbH an die M7 Deutschland GmbH. Damit übernahm M7 Deutschland sowohl das Pay-TV-Angebot Kabelkiosk wie die neue IPTV-Plattform „Mein Fernsehen“. M7 Deutschland ist ein Affiliate der Luxemburger M7 Group SA, die bereits mehrere Pay-TV-Plattformen in Europa betreibt. Was „Mein Fernsehen“ für Stadtnetzwerke interessant machen soll, verrät Martina Rutenbeck, bisherige Chefin der Visavision GmbH und neue Geschäftsführerin von M7 Deutschland, im MEDIEN BULLETIN-Interview.

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Umfassendes Komplettpaket

Frau Rutenbeck, Glückwunsch zur neuen Position als Geschäftsführerin von M7 Deutschland. War das bei der Visavision-Übernahme durch M7 schon absehbar?

Ja. M7 hat Visavision inklusive der bestehenden Struktur, dem Team, der Geschäftsführung und auch den beiden Plattformen, also dem Kabelkiosk und „Mein Fernsehen“ als IPTV-Plattform übernommen.

Wird der Kabelkiosk künftig in „Mein Fernsehen“ umbenannt?

Nein, es bleibt beides unter zwei verschiedenen Marken bestehen. Der Kabelkiosk bildet unsere Zulieferungsdienstleistungen für die Kabelnetzbetreiber ab. Er umfasst heute ausschließlich lineares Fernsehen. Das werden wir durch das Multiscreen-Thema noch ergänzen. Separat gibt es die IPTV-/OTT-Plattform, die wir „Mein Fernsehen“ genannt haben, und die auch technisch völlig getrennt läuft.

Die TV-Programme beider Angebote werden doch zunächst gemeinsam per Satellit zugeführt?

Die allermeisten Programme empfangen wir via Satellit über das Video-Head-End, das wir in Köln aufgebaut haben. Ein Teil kommt über Glasfaser. Anschließend geht es auf zwei getrennten Verbreitungswegen weiter. Für IPTV gehen wir leitungsgebunden weiter, hauptsächlich für das lineare Fernsehen. Parallel gibt es das OTT-Streaming, beispielsweise für HbbTV-Angebote und Mediatheken. Das ist dann leitungsungebunden. IPTV ist als leitungsgestütztes Fernsehangebot ein ganz wesentlicher Zweig von „Mein Fernsehen“. Die leitungsgebundene Verteilung bietet Quality of Service (QoS). Nur dadurch kann der Netzbetreiber die Bandbreite garantieren. Das ist für lineares Fernsehen ganz wesentlich. Wer möchte schon Aussetzer in der Tagesschau haben oder beim Tatort oder beim Fußball, das ist ja inakzeptabel.

War der Verkauf an die M7 Group die Voraussetzung, um das Projekt zu stemmen?

Nein. Wir hatten eine komplette Budgetfreigabe und auch die strategische Unterstützung durch Eutelsat. Wir haben vor zwei Jahren angefangen mit der Planung von „Mein Fernsehen“, mit den ersten Technologieausschreibungen und damit, Teile aufzusetzen.

Welchen Vorteil sehen Sie in der Übernahme durch M7? Hätten Sie das Angebot auch unter der alten Fahne der Visavision vermarkten können?

Sicherlich war das auch denkbar, wir hatten da ja keinerlei strategische oder unternehmerische Einschränkungen. M7 bringt natürlich den Vorteil mit sich, dass sie Plattformbetreiber sind. Dadurch verstehen sie das Geschäft sehr gut, das ja kein reines Infrastrukturgeschäft ist. M7 hat Aktivitäten in anderen Ländern, in den Niederlanden, in Belgien, Österreich, Tschechien, Ungarn. Überall dort sind sie Plattformbetreiber und bringen Know-how mit, von dem wir profitieren.

Welche Überlegungen führten zur Entwicklung von „Mein Fernsehen“?

Wir glauben, dass lineares Fernsehen auch in fünf Jahren eine große Rolle spielt. Das bestätigt auch eine GfK-Untersuchung vom letzten Jahr. Gleichzeitig werden der Second Screen und die mobile Nutzung natürlich zunehmen. Auf diesen Second Screens werden oft auch nichtlineare Inhalte abgerufen. Das Zusatzangebot einer App sehen wir als klaren Trend bei Kabelnetzbetreibern, auch wenn deren Endkunden beim klassischen Fernsehen bleiben. Ebenso haben wir gesehen, wie die Stadtwerke, City Carrier und DSL-Provider ihre Netze aufrüsten, um auch Triple-Play anbieten zu können. Sie möchten nicht nur Internet und Telefonie liefern, sondern ihren Kunden ein vollständiges Paket anbieten, das auch Fernsehen enthält. So haben wir zwei Standbeine: einmal das klassische Kabel, und dann den Stadtnetzbetreiber oder City Carrier, der sich gerade entwickelt.

Sind letztere also die Zielgruppe von „Mein Fernsehen“?

Richtig, die Zielgruppe von „Mein Fernsehen“ sind die City Carrier, Stadtnetzbetreiber. Das überschneidet sich nur teilweise mit den Kabelnetzbetreibern. Es gibt Netzbetreiber wie Net Cologne oder Wilhelm.tel, die sowohl IP- als auch Kabelnetze haben. Aber es gibt auch eine separate Sparte, die sogenannten City Carrier, die nur IP- oder auch DSL-Netze haben. Das ist für uns ein zweites Marktsegment, was wir jetzt mit „Mein Fernsehen“ erschließen. Denn diese City Carrier haben in der Regel überhaupt kein TV-Produkt, eine etwas andere Ausgangssituation als im Kabel. Deshalb haben wir für diese ein komplettes Fernsehangebot zusammengestellt.

Inwiefern unterscheidet sich das Geschäftsmodell von „Mein Fernsehen“ von dem des Kabelkiosks?

Wir bleiben insofern bei unserer Strategie, als dass auch „Mein Fernsehen“ ein White-Label-Produkt ist. Der Netzbetreiber kann „Mein Fernsehen“ in sein eigenes Angebot unter seiner Marke einbinden. White-Label-Lösung heißt auch, dass wir die Dienste auf beiden Plattformen ausschließlich Geschäftskunden anbieten. „Mein Fernsehen“ ist ein zweites Marktsegment und eine Erweiterung, weil wir einen zusätzlichen technischen Distributionsweg nutzen, nämlich das Internet.

Die Visavision GmbH gehörte bislang zur Eutelsat Services und Beteiligungen GmbH. Welches Geschäftsfeld bleibt der Eutelsat-Holding nach dem Verkauf?

Die Holding führt in Deutschland das klassische Geschäft von Eutelsat weiter, nämlich den Vertrieb von Transponderkapazität. Da gibt es vier Kollegen, die dort aktiv sind. Das zweite Geschäftsfeld ist die Beteiligung an Hispasat. Eutelsat ist an Hispasat beteiligt, und die Anteile liegen in der Holding. Zudem betreibt die Eutelsat Services und Beteiligungen GmbH das Breitbandgeschäft Tooway und M7 Deutschland ist jetzt ein neuer Großkunde.

Richtig, das langfristige Kapazitätsabkommen zwischen Eutelsat und M7 Deutschland war ja Teil des Geschäfts.

Damit hat Eutelsat ein signifikantes Kerngeschäft, denn das ist ein Vertrag über zehn Transponder. Ein gutes Volumen, das, wie gesagt, langfristig vereinbart wurde.

Welche TV-Programme bietet „Mein Fernsehen“?

„Mein Fernsehen“ ist ein komplettes Paket: sämtliche öffentlich-rechtliche Fernsehsender, die meisten in HD, plus die Privatsender, Pay-TV und die Fremdsprachenprogramme, die wir auch im Kabelkiosk haben. Video-on-Demand, also das, was beim Kabelkiosk mit „Choice“ ein Standalone-Angebot war, ist jetzt auch technisch in die „Mein-Fernsehen“-Plattform integriert. Wir glauben auch, dass Video on Demand immer wichtiger wird, selbst wenn es jetzt noch keine Cash-Cow ist.

Umfasst „Mein Fernsehen“ den Pay-Sender Sky?

Nein, der ist bei uns nicht integriert. Der Netzbetreiber kann natürlich unabhängig davon mit Sky Verträge abschließen und die Programme einspeisen.

Welche Kunden hat „Mein Fernsehen“ bereits gewonnen?

Wir befinden uns derzeit in intensiven Verhandlungen.

Was unterscheidet das TV-Angebot von „Mein Fernsehen“ von Firmen wie zattoo, die lineares Fernsehen einfach streamen?

Wir machen viel mehr. Zum einen haben wir ein Komplettangebot an 150 Sendern, das rechtemäßig abgesichert ist, darunter Free TV, Pay TV, und so weiter. Wir bieten dazu auch Multiscreen an, wir bieten Video-on-Demand an, was zattoo oder Magine nicht haben. Wir bieten zudem Features wie Restart, Replay und Funktionen wie Multiuser, die für Haushalte mit mehreren Personen interessant ist. Jedes Familienmitglied kann sich ein eigenes Profil anlegen mit eigenen Merklisten und eigene Favoriten. Und jeder sieht immer nur sein eigenes Profil. Eltern können zum Beispiel FSK-Vorgaben in den Profilen der Kinder einrichten. In dieser Vollständigkeit bieten das heute ausschließlich wir.

Welche Bedeutung hat für Sie dabei HbbTV?

Für uns ist es wichtig. Das ist eine Zusatzfunktion, die die öffentlich-rechtlichen Sender sehr stark nutzen und auch die großen Privatsender nutzen. Für kleinere Anbieter haben wir HbbTV-Dienste zum Teil selbst aufgesetzt auf der Plattform, weil die zum Beispiel einen eigenen Webshop haben. Über den Red Button können diese dann aus dem Programm heraus auf ihren eigenen Webshop verlinken.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

National Geographic beispielsweise, oder auch der History Channel.

Also auch Sender, die keine klassischen Verkaufssender sind?

Der Hinweis ist richtig. Die Shoppingsender haben das sowieso, die bauen das im eigenen Interesse auf. Für Spartensender haben wir das teilweise hinzugefügt.

Was sind die entscheidenden Features der HbbTV-Version 1.5, die sie ja nutzen?

Ein entscheidendes Feature ist, dass PlayReady als DRM-System integriert ist. PlayReady ermöglicht es kleineren Spartensendern, Zusatzdienste wie Abos auf Connected-TVs zu vermarkten, die sich dann per Red Button abrufen lassen. So hat man eine gemeinsame Basis. Wir haben mit Marlin noch ein zweites DRM-System auf der Plattform.

Nutzen auch Bezahlsender PlayReady?

Genau. PlayReady ist auch deswegen für uns ein Muss, weil die Hollywood-Studios PlayReady als DRM-System zertifiziert haben.

In Ihrer Pressemeldung wird Disney als einziger Vertragspartner für Ihr VoD-Angebot genannt. Können Sie weitere nennen?

Mit Warner haben wir auch Verträge. Wir kaufen Video-on-Demand-Rechte auch bei den deutschen Independents ein, wie Universum, Studiocanal und Constantin. Teils verkaufen auch die Programmanbieter direkt Video-on-Demand-Rechte, wie zum Beispiel der History Channel. Wir fokussieren uns auf die Blockbuster, weil man sonst aus unserer Sicht einfach nur Masse erzeugt. 80 Prozent der VoD-Nutzer schauen nur Blockbuster.

Warum bieten Sie kein Flatrate-Modell wie Netflix?

Das bieten auch andere Plattformen wie Watchever. In der Refinanzierung ist es ein sehr schwieriges Modell, vor allem, wenn man nur darauf setzt. Wir machen TVoD (Transactional VoD, Einzelabrufmodell, Anm. d. Red.), das ins Plattformkonzept eingebunden ist. So sehe ich auf der Startseite nicht nur, was gerade im Fernsehen läuft, sondern auch welche neuen Filme hereingekommen sind, oder für welche Titel es in der Woche einen Sonderpreis gibt. So ist das für Filmfans ein attraktives Produkt.

An der Umsetzung der Plattform hat unter anderem die Firma 3-Screen-Solutions mitgearbeitet. Warum haben Sie diesen Anbieter gewählt?

Die Plattform ist absolut komplex. 3SS ist sehr kompetent in diesem Umfeld und sehr flexibel. 3SS programmiert eine ganz wesentliche Schnittstelle, nämlich von der Plattform zum Subscriber-Management-System. Es ist ein Dienstleistungsangebot von uns, dass die Netzbetreiber das Subscriber-Management-System nutzen können, um ihre Endkunden zu administrieren. Ein SMS-System haben wir bereits für den Kabelkiosk und wollten kein zweites aufbauen. Daher muss es eine Schnittstelle zwischen dem alten und dem neuen System geben, und diese Schnittstelle programmiert 3SS.

Sie haben auch eine eigene Hardware für die Endkunden entwickelt, die Set-Top-Box EF-1.

Federführend war hier Kaon. Natürlich kommen noch ein paar Software-Komponenten hinzu. Wir haben in der Vergangenheit schon mit Boxen-Herstellern für den Kabelkiosk zusammengearbeitet. Wir haben ein Kontingent an Boxen gekauft, die wir an die City Carrier weitervertreiben. Die Set-Top-Box fungiert als eine Art Zentrale für das IPTV-/OTT-Angebot. Sie empfängt die IPTV-Programme und gibt sie beispielsweise an das TV-Gerät aus. Über den PC lassen sich dann weitere Geräte wie Tablets verwalten, die ebenfalls auf das lineare TV-Programm oder die verschiedenen OTT-Angebote zugreifen können.

Jan Fleischmann

MB 6/2014