Fernsehen und Internet wachsen zusammen

Die Hamburger Initiative Hamburg@work veranstaltete unlängst den „newTV-Kongress – Fernsehen auf neuen Wegen“. Im VIP-Bereich des Millerntor-Stadions vom FC St. Pauli diskutierten internationale Experten über neue Player und neueFormate im Web und über die Frage, wie sich durch die neuen WebTV-Angebote das Nutzerverhalten verändert. Klar wurde: Verlage, Produzenten, Rundfunkveranstalter und Rechteinhaber stehen vor einer großen Herausforderung.

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Fernsehen und Internet wachsen zusammen

Rundfunksender sind längst dabei, sich Richtung Internet zu orientieren und TV-Geräte mit Breitbandanschluss drängen verstärkt auf den Markt (in den USA bereits schon jedes vierte verkaufte Gerät im Januar dieses Jahres). Fernsehen und Internetnutzung mit nur einem Gerät – das ist keine Zukunftsmusik mehr.

Wie schnell wird sich die neue Technik durchsetzen? Ist ein gemeinsamer technischer Standard als Basis für alle Marktteilnehmer in Reichweite? Und welche Folgen hat es, wenn durch Angebote mit Kundenbindung von Kabelbetreibern und Telekommunikationsunternehmen die Fragmentierung des Medienmarktes weiter voran getrieben wird. Hamburg@Work für Medien, IT und Telekommunikation ist eine Initiative der Freien und Hansestadt Hamburg sowie Hamburger Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft mit derzeit über 650 Mitgliedsfirmen. Unter dem Dach dieses öffentlich-privaten Netzwerks agiert auch die Fachgruppe newTV: Hamburg mit 250 Mitgliedern. Der Vorsitzende Uwe Jens Neumann betonte nicht ohne Stolz, dass seit dem Bestehen bereits 10 Startups mit 50 neuen Arbeitsplätzen begleitet wurden.

Aus England angereist war Rahul Chakkara von der BBC, der dort für die Entwicklung von Online-Plattformen und neue TV-Technologien verantwortlich ist. Der immer gerne an vorderster Front der Medienentwicklung agierende staatliche Sender betreibt bereits sehr intensiv die Verschmelzung beider Welten. Die BBC verstehe sich heute als ein Produzent, der seine Inhalte für multimediale Nutzung produziert und in sämtliche Verwertungskanäle speist, erklärt Chakkara. Seit Sommer 2008 ist die BBC mit dem iPlayer bereits mit einem eigenen Onlinedienst im Web. Der schicke iPlayer bietet On Demand-Angebote aus dem laufenden Programm, also Sport- und Nachrichtensendungen, Vermischtes zum Zeitgeschehen und Spielfilme sowie auch digitale Spiele für die Kids. Da die BBC dies als Entwicklungsterrain sieht, um sich in der digitalen Medienwelt zu positionieren, sind alle diese Dienste kostenfrei. Auch den anderen Weg, das Internet auf den Fernsehschirm zu holen, hat die BBC mit dem so genannten Canvas Project“ eingeschlagen, einer preisgünstigen Receiver-Plattform zum Empfang von Internetfernsehen im TV-Gerät. Die BBC ist an der Erstellung und Verbreitung dieser Settop-Boxen nicht beteiligt. Und neben dem eigenen iplayer-Dienst sind auch andere Angebote wie Informationen und Abrufdienste auf dieser Plattform verfügbar. Die Geräte sollen parallel zum Empfang von Free-TV genutzt werden können und sogar HDTV unterstützen. Ein digitaler Receiver, ein Fernseher und ein Breitbandanschluss: mehr bedarf es nicht, um das neue IPTV-Zeitalter im eigenen Wohnzimmer einzuläuten. Chakkara sieht Hybrid-TV als eine offene Content-Plattform an, auf der neben linearen Programmangeboten auch andere Dienste genutzt werden können.
Chakkaras Schlussstatement: „Das Internet ist ein neuer Player auf dem Markt. Und wir gehen davon aus, dass sich die Mediennutzung radikal wandeln wird.“ Robert Seeliger vom Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme in Berlin sieht die Engländer auf dem richtigen Weg und bestätigt den Trend hin zum Hybrid-TV, das die IP-Plattformen und Broadcasttechnologie vereint. Dadurch werden die Fernseh-Inhalte interaktiver, da der Nutzer die Möglichkeit hat, über den Internet-Anschluss Zusatzdienste abzurufen. „Das Ziel ist, harmonische Schnittstellen zu finden und in einer Plattform zusammenzuführen, auf der ich alles nutzen kann vom Fernsehen bis zu Telekommunikationsdiensten.“

An eine derart reibungslose Verschmelzung auf dem Bildschirm glaubt Jan Wendt, Geschäftsführer von MMH-Media Management Hamburg allerdings nicht. Im Gegenteil, er kündigt einen neuen Konkurrenzkampf ums Wohnzimmer an, bei dem zwei sich bereits abzeichnende unabhängige Bewegungen mit einander im Wettstreit liegen. Für Wendt seien dies einerseits lineare Programme, die durch Telekommunikationsdienste interaktiv werden, wie im Hybridmodell beschrieben. Die andere Bewegung kreiere komplett neue TV-Formate. Von einem netten Zusammenwachsen von alter TV-Welt und künftiger IPTV-Welt könne da keine Rede sein.

Umtriebig im Netz unterwegs ist auch das ZDF, wie Robert Amlung, Beauftragter für digitale Strategien ausführte. „Wir Broadcaster müssen uns bewegen. Die Grenzen zwischen Fernsehen und Internet werden verschwinden.“ Das Fernsehen bleibe überall dort stark, wo es originären Eventcharakter besitze. Etwa bei den großen Sportübertragungen zur Olympiade oder der Fußball-WM. „Aber überall dort, wo es diesen Eventcharakter nicht hat, müssen wir umdenken.“

Nutzer dort abholen, wo sie sind

Und das ZDF bewegt sich mit seinem Online-Dienst ZDF Mediathek, der seit 2009 auch HDTV unterstützt. Mit diesem 7-Tage-Service sei der Abrufdienst eine relevante Größe, betont Amlung, der seinen strategischen Blick auch auf einen weiteren Horizont richtet: „Wir müssen die Nutzer dort abholen, wo sie sind.“ Das ZDF ist mit einigen Sendungen bei den sozialen Netzwerken vertreten: die Kandidatensuche für Wetten dass? besitzt einen Ableger auf dem Portal YouTube und wer einmal neben einem Fußballprofi auf die berühmte Torwand im ZDF Sportstudio schießen will, darf sich dort mit einem eigenen Video bewerben. Bei einer Wahlsendung im vergangenen Jahr mit parallelem Streaming auf YouTube wurden dort 120 000 Nutzer gezählt. „Es gibt einen Trend zur Echtzeit-Kommunikation“, stellt Amlung fest. Das Interesse sei groß, sich über die Inhalte weitere Infos zu holen und sich auch darüber in Chatrooms auszutauschen.
In der folgenden Diskussion kreisten viele Statements um die gleiche Frage. Wie offen wird die Mediennutzung sein und welche Chancen haben digitale Receiver mit Breitbandanschluss ohne Kundenbindung, die jedoch zumindest über einen EPG verfügen müssten, um Programm-Angebote und Videoinhalte zu finden.

Parallel dazu etablieren sich proprietäre Insellösungen mit festen Abo-Angeboten am Markt, die als Geschäftsmodell für sich wohl auch bestehen können. Andere setzen eher auf einen werbefinanzierten Markt mit freiem Zugang, befürchten aber, dass eine weitere Fragmentierung der Zuschauer und Nutzer eine Zielgruppenbindung für die Werbung erschwert. Die Frage ist auch, ob es bald einen Standard für alle Marktteilnehmer geben wird. „Die Standardisierung ist die einzige Möglichkeit, hier einen Markt aufzubauen“, ist Amlung überzeugt und denkt da gewiss an die paneuropäische Initiative HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV), die einen gemeinsamen Standard für Fernsehprogramme und Internetangebote zu etablieren versucht. Eine der Triebkräfte ist hier der Interessenverband der nationalen Sender, die European Broadcast Union (EBU).
Ein Beispiel wie erfolgreiche Online-Konzepte mit Livestreams auch den TV-Markt verändern könnten, ist der Wild Earth TV Channel aus Südafrika.

Das tägliche Nischenprogramm aus dem Nationalpark erfreut sich weltweit größter Beliebtheit. Der frei zugängliche Internetsender lädt zur Safari ins Wohnzimmer mit täglichen Live-Programmen. Die Nutzer können das Leben bestimmter Tiere verfolgen, die Ranger befragen und live mit verfolgen, was etwa Lily, eine Schwarzbärin in ihrer Höhle so anstellt, die mit einer eigenen Kamera ausgestattet ist. Dort schläft die junge Bärin überwiegend, die aber seit ihrer live übertragenen Geburt der heimliche Star im Wildlife-Park ist. Es herrscht reger Betrieb im Netz, wenn Lilly gefüttert wird. 77 000 Fans allein bei Facebook verfolgen das Geschehen und tauschen sich mit anderen aus. Und Wild Earth TV ist auch auf den Portalen von Twitter und You Tube präsent. Torsten Hoffmann von der Global Media Consult betrachtet das erfolgreiche Online-Konzept als durchaus übertragbar auf die Fernsehwelt. Hier wäre auch ein Pay-TV-Kanal denkbar, der seine Live-Sessions aus dem Tierpark in Stereo 3D überträgt. Bernd Jetschin
(MB 04/10)