Als WBO-und WBA-Champion Wladimir Klitschko vor kurzem seinen deutsch-italienischen Herausforderer Francesco Pianeta besiegte, gab es im deutschen Fernsehen eine interessante produktionstechnische Premiere. Erstmals wurde im Rahmen der Kampf-Übertragung bei RTL eine detaillierte Schlagstatistik erfasst und mit Hilfe eines virtuellen dreidimensionalen Glaskörpers visualisiert. Jeweils drei Scouts notierten nicht nur die Anzahl von Schlägen und Treffern, die ein Boxer einstecken musste, sondern auch, wo ein Treffer einschlug. Der Körper der Boxer wurde dazu in sieben Zonen eingeteilt, vier davon am Oberkörper, drei am Kopf. Die entsprechenden Daten wurden direkt an ein vr3 Realtime-Rendering-System übermittelt. Die Treffer und deren Stärke wurden dann an den gläsernen Avataren angezeigt. Auf diese Weise ließen sich auch Rückschlüsse darauf ziehen, welche Strategie ein Boxer verfolgte. Neu war ebenfalls, dass Moderator Florian König und Kommentator Tobias Drews mittels Touchscreen Daten etwa zu Größe, Gewicht, Auslage und Alter der beiden Kontrahenten aufrufen und dazu auch Trailer einspielten konnten. Verantwortlich für die Realisierung der innovativen Präsentation war die Düsseldorfer vr3 virtual production. Die Technologie soll laut vr3-Geschäftsführer Jochen Schreiber auch beim nächsten Klitschko-Kampf in Moskau zum Einsatz kommen.
Das Box-Projekt steht beispielhaft für das innovative Engagement des 2003 von Schreiber gemeinsam mit Rainer Maguhn und Dirk Konopatzki gegründeten Unternehmens vr3 virtual production. Angesiedelt ist es seit Beginn in den TV-Ateliers der Düsseldorfer Voss GmbH. Im Juni 2013 ist man dort zuletzt mit der gesamten virtuellen Studiotechnik von einem kleinen 30 Quadratmeter großen Studio in ein großes mit 240 Quadratmetern Fläche und sieben Metern Deckenhöhe umgezogen – „um szenisch besser arbeiten zu können“, wie Schreiber berichtet. Zuvor hatte man das große Studio nur für gelegentliche Produktionen angemietet und das kleine diente mehr Präsentationszwecken. „Wir haben beim Umzug einige zuzsätzliche Investitionen in neue Kameras, Server und in ein neues Tracking-System von Mo-Sys getätigt“, berichtet Schreiber. Inzwischen kann man im virtuellen VR3-Studio mit drei Kamerasystemen von JVC arbeiten und mit verschiedenen Tracking-Systemen, die, mit technisch unterschiedlichen Merkmalen ausgestattet, auf die jeweiligen Anforderung der Kunden abgestimmt werden. Kamerakräne kommen im VR3-Studio nicht zum Einsatz. Man setzt lieber auf solide klassische Filmtechnik mit Panther-Schienen und schweren Vinten-Dollys. „Eine absolute Stabilität der Kamerabewegung ist zwingend erforderlich, damit die Sensorik für das Tracking präzise arbeiten kann“, betont Schreiber. Nur sehr robuste Kran-Systeme, wie die von RTL genutzen Technocranes, seien für virtuelle Studios geeignet.
Realisiert hat vr3 in den Voss Studios bislang unter anderem virtuelle Serien für Disney („Die Nimmerland Piraten“), Super RTL („Wow – Die Entdeckerzone“) und viele andere Auftragsproduktionen. Eingesetzt wurde dabei ausschließlich der selbst entwickelte vr3 „vectorHD“ Realtime-Renderer (1080i). Das 2004 entwickelte System bildet den Nukleus aller vr3-Aktivitäten.
Die drei vr3-Chefs hatten sich in den frühen 80ern im virtuellen Studio von Blue Space in Hürth kennen gelernt und hier die Beschränkungen der damals noch sehr teueren und anfälligen Render-Maschinen erlebt. Daraus erwuchs der Wunsch ein eigenes System zu entwickeln. 2004 hatte man bereits den Proptotypen der vector vr3 Realtime Engine am Start, basierend auf der leistungsstarken „shark3D“ Game Engine. Mit diesem Renderer wollte man vorrangig eigene Produktionen machen. Schnell fanden sich jedoch auch einige TV-Veranstalter (ProSiebenSat.1, MDR, etc.), die mit dem vr3-System selbst arbeiten wollten. Heute wird vectorHD deshalb nicht nur in den eigenen Studioproduktionen eingesetzt sondern auch an Dritte verkauft. Das geschieht über eine eigne Vertriebs- und Support-Mannschaft. In Sachen Vermarktungsstrategie bleibt man bescheiden. „Wir sind ein überschaubares Unternehmen und wollen es auch bleiben. Alle unsere Mitbewerber sind ungleich größer“, sagt Schreiber. „Wir vermarkten unsere Systeme selber. Das war auch bei ProSiebenSat.1 und beim MDR so“, berichtet er.
Im Gegensatz zu den Mitbewerbern auf dem Markt konzentriere sich vr3 ausschließlich auf die absolute Präzision des Ausgangsmaterials. Und dafür haben wir eine Technologie entwickelt, die anfangs etwas argwöhnisch betrachtet wurde, weil wir auf eine Spiel-Engine aufsetzen, mit Grafikkarten an Stelle der bislang üblichen Rechner basierten Systeme auf dem Markt. Das war damals ein absolutes Novum. So langsam kommen aber auch die Mitanbieter auf den Trichter, dass Spiel-Engines mit Blick auf die Performance und die Ausbaumöglichkeit entsprechender Systeme innovativer sind. Das wird man wohl auch auf der IBC 2013 merken.“
vr3 sieht sich gegenüber den Mitbewerbern auch sonst in einer besonderen Situation. „Andere Hersteller arbeiten mit eigenen Editoren. Man baut das virtuelle Studio in einer 3D-Software. Das wird in einen Editor importiert und muss dann da noch einmal komplett überarbeitet werden. Bei uns ist es so, dass wir das 3D-Programm 3ds Max zur Steuerung und zum Editieren der Szenen verwenden. Es wird dann praktisch direkt in unseren Renderer geladen und läuft dann dort“, erklärt Konopatzki. Das habe den Vorteil, dass man sich einen Schritt spart und sehr schnell erkenne, wie sich vorgenommene Änderungen auswirkten. Bei anderen Herstellern müsse man teilweise auch die Texturen beziehungsweise Shader (Oberflächenbeschaffenheiten wie Spiegelungen und Reflexionen) selbst erzeugen. „Da tut man sich oft sehr schwer. Bei uns ist das hingegen sehr offen gehalten, sodass man hier in der Lage ist, tolle Sachen zu machen und einen High-end-Look zu erzeugen, der bei anderen Systemen nur sehr schwer zu realisieren ist.“ Auch hier biete der Einsatz der Game-Engine im vr3-System viel mehr Möglichkeiten als eine originäre TV-Engine, die nur für den TV-Bereich erstellt worden sei. Ein weiterer Vorteil von vector sei, dass er über einen eigenen Keyer verfüge, der den Einsatz externer Systeme zum Beispiel von Ultimatte überflüssig mache. „Und am Ende ist natürlich der gute Support unserer Produkte für viele Kunden eine ganz ausschlaggebende Sache“, betont Konopatzki.
Das voll ausgestattete vr3-Mietstudio in Düsseldorf steht laut Geschäftsführer Schreiber für Kunden ohne eigene Produktionsräume zur Verfügung. Das Team von vr3 bietete neben Know-How und Erfahrung in allen Bereichen der virtuellen Produktion auch eigene Forschung und Entwicklung an. Schreiber: „vr3 versteht sich damit als Full-Service-Anbieter für Kunden aus den Bereichen Broadcast/TV, IPTV, Internet-TV, Verlagshäusern, Agenturen und Corporate TV.“
Eckhard Eckstein
(MB 09/13)