Das Unheil kündigte sich bereits auf dem Weg von Tignes nach Briancon an. Ein Defekt an dem von TV-Unit genutztem Teamfahrzeug sorgte für eine Zwangspause in einer französischen Werkstatt. Wenig später brauchte auch Ü2, der Ü-Wagen von TV-Unit, dem Tour-Tross nicht mehr folgen. Wegen der anhaltenden Dopingvergehen hatten ARD und ZDF zur Halbzeit des größten und härtesten Radrennens der Welt (7. bis 29. Juli) die Live-Übertragung eingestellt. Produktionsdienstleister TV-Unit konnte darauf hin seinen Ü-Wagen nebst Rüstwagen wieder nach Hause chauffieren. Nur das neue Schnittmobil des Unternehmens blieb der Frankreich-Rundfahrt weiter erhalten.
„Natürlich hätten wir den Job gerne bis zum Tour-Ende erledigt“, erklärt Geschäftsführerin Karin Borth. „Schließlich ist so eine große Produktion auch mit sehr viel Vorbereitungszeit und persönlichem Engagement aller Beteiligten verbunden.“ Das betrifft insbesondere Ü-Wagen-Leiter Jochen Blens mit seinem Team (zwei Fahrer, zwei Tontechniker/Toningenieure und ein Bildtechniker).
Ü2-Technikausstattung
Ü2 von TV-Unit ist eigentlich mit zwölf Kameras von Grass Valley plus einer Supermotion-Kamera ausgestattet. Bei der Tour de France waren allerdings nur drei Kameras in Gebrauch. „Wir haben im täglichen Wechsel die Tour-Studios von ARD und ZDF betreut. Die Bilder von den einzelnen Etappen haben wir von den französischen Kollegen bekommen“, erklärt Blens. Produziert wurde das World Feed von der Societe Francaise de Production (SFP) und France Television in Standard-Definition 16:9. Auch ein HDTV-Signal wurde angeboten.
Die drei Kameras von TV-Unit wurden auf so genannten Produktionsmobilen eingesetzt. Das sind Trucks mit Studios, einschließlich Moderationstisch, Mikrofonen, Kameras und Licht auf dem Dach. Von hier aus wurden die Starts und die Zielankünfte der einzelnen Etappen von den ARD/ZDF-Moderatoren (im Bild) kommentiert. Außerdem wurden hier Interviews geführt. Während der Rennen wurden die im Ü-Wagen aufliegenden Bilder des französischen Hostbroadcasters aus dem Off kommentiert. Lediglich eine kleine Chip-Kamera von Toshiba gewährte ab und zu einmal einen kurzen Blick in die Kommentatoren-Kabine.
„Der Hostbroadcaster lieferte ein Programmfeed mit Grafiken und ein Cleanfeed ohne Grafiken, das wir hernehmen konnten, um unsere eigenen Grafiken darauf zu setzen. Die Grafiken haben wir vor Ort selber produziert. Im Rüstwagen war dafür ein extra Technikabteil eingerichtet“, berichtet Blens.
ARD und ZDF arbeiteten mit verschiedenen Grafiksystemen, die ARD mit einem VIZRT-System und das ZDF dem Aston Red. Neben der Grafik fand sich im Rüstwagen auch noch ein Platz für den Highlightschnitt durch einen EVS Operator.
Im Ü-Wagen selbst war noch eine zweite EVS im Betrieb. Sie wurde in zweikanaliger Version vom ZDF für Voraufzeichnungen gemacht, die dann während der Live-Übertragungen auf dem Mischer im Ü-Wagen auflagen und von dort aus eingespielt werden konnten. Den Vorlauf zu den einzelnen Live-Übertragungen der Etappen produzierte das ZDF meist mit zwei Drahtlos-Kameras, deren Signale ebenfalls der Ü2 entgegennahm.
Der Hostbroadcaster wiederum lieferte neben dem Hauptsignal von den Rennen auch so genannte „Isolated Feeds“. Sie wurden unter anderem von zwei Hubschrauber- und zwei Motorrad-Kameras eingefangen. Außerdem gab es noch Extra-Signale von den Start- oder Zielkameras und von einer Strecken-SNG. Weitere Signale wurden in Form von Handy-Interviews mit den sportlichen Leitern der Teams in den Begleitfahrzeugen zum Ü-Wagen geschickt. „All diese Signale wurden vom Ü2 und dann an die Schnittmobile weiter verteilt. Dafür brauchten wir schon mehrere Kilometer Kabel“, berichtet Blens.
Auf- und Abbau
Der Ü-Wagen von TV-Unit wurde, wie alle anderen im Tross befindlichen auch, über Nacht bewegt und am neuen Standort geparkt. Auf den technischen „Compounds“ waren immer rund 30 Ü-Wagen versammelt.
Das Ü-Wagen-Team kam dann am frühen Morgen an, um die komplette Technik aufzubauen. Blens: „Der Aufbau dauerte je nach Größe des Compounds jeweils zwei Stunden. Manchmal war die Zeit knapp, insbesondere dann, wenn es lange Kabelwege bis zum Moderatorenplatz gab. Dann mussten wir auch schon mal drei Stunden aufbauen. Danach folgten technische Proben beziehungsweise Regiebesprechungen bis rund eine halbe Stunde vor der Live-Sendung. Die dauerte dann bis zu sechs Stunden. Anschließend wurde alles wieder abgebaut und zum nächsten Etappen-Ziel transportiert.“
Wegen des täglichen Wechsels zwischen ARD und ZDF bei der Tour-Übertragung und deren unterschiedlichen Produktionskonzepten musste Ü2 täglich umkonfiguriert werden. Bei der ARD schnitt der Regisseur Dietmar Borchert die Bilder selber, beim ZDF arbeitete Ralf Küpper mit einem Bildmischer zusammen. Dann gab es da noch die unterschiedlichen Grafiksysteme und Kamerapositionen.
„Die Umkonfiguration braucht auch Zeit. Die jeweiligen Anwendungen mussten auf der Kreuzschiene hochgefahren werden, damit sie auch richtig auf dem Mischer auflagen. Daraus ergab sich dann eine absolut unterschiedliche Mischerbelegung“, erzählt der Ü2-Ü-Wagen-Leiter. Mischer und Kreuzschiene (124 × 98) stammten von Grass Valley. Jeden Morgen vor einem Rennen spielte Blens gemeinsam mit einem Toningenieur den Ü-Wagen zirka 3/4 Stunde technisch komplett durch, um sicherzustellen, dass auch alles funktioniert.
Weil in Südfrankreich hohe Temperaturen im Juli den Ü-Wagen und ihren Besatzungen ziemlich zusetzen, sind meist alle mit extra Klimaanlagen ausgestattet, auch der Ü2 von TV-Unit. „Im Rüstwagen hatten wir vier externe Klimageräte. Die interne Anlage schafft es in Südfrankreich nicht mehr. Die Tour de France ist die einzige Produktion im Jahr, wo der Wagen komplett ausgelastet ist, jedes Gerät läuft und in jedem Technikraum viele Leute sitzen. Deshalb mieten wir uns immer externe Klimaanlagen“, sagt Blens.
Lawo MC2 66
Erstmals zum Einsatz kam bei der Tour de France 2007 der neu in den Ü2 integrierte Audiomischer MC2 66 von Lawo. Der HD-Core des Mischers bietet 146 DSP-Kanäle und einen 3k-Router. Die Konsole ist mit einem 24+8+16 Frame ausgerüstet.
Blens: „Das neue Tonmischpult lief von Anfang an sehr stabil. Wir hatten damit absolut keine Probleme. Von den Einstellungsmöglichkeiten ist es natürlich deutlich besser als das vorherige Pult.“ Das war ein ABE-Tonmischer mit 48 Eingängen. Und noch ein Vorteil nennt der Ü-Wagen-Leiter: Das neue Pult braucht wesentlich weniger Platz als das alte. Die Tonregie ist dadurch deutlich größer geworden.
„Mit dem mc2 66 sind wir deutlich flexibler als vorher. Jetzt haben wir eine Vielzahl von Möglichkeiten, das Pult für unsere Arbeit optimal vorzubereiten“ sagt er. „Die Bediensicherheit ist ausgezeichnet: Der Toningenieur hat einen schnellen Zugriff auf alle Signale, die am Pult aufliegen. Über die interne Kreuzschiene setzen und kontrollieren wir die Koppelpunkte zudem rasch und sicher. So können wir uns bei der Berichterstattung voll und ganz auf den Ton konzentrieren“ lobt er.
Über das Lawo-Pult liefen bei der Live-Übertragung der Tour de France neben der kompletten Moderation die jeweils zwei Kommentatorenstimmen von ARD und ZDF sowie alle Signale des Hostbroadcasters.
„Die Tonsignale haben wir embedded bekommen. Alle Signale, also auch die Isolated Feeds von den Hubschrauber- oder Motorrad-Kameras hatten also einen eigenen Ton, der auf dem Tonmischpult auflag“, sagt Blens. Das Lawo- Pult ist im Ü2 in die Kreuzschienen des Ü-Wagens integriert. „Wir arbeiten mit dem Jupiter-Kreuzschienensteuerung von Thomson Grass Valley. Die ist so programmiert, dass sie mit dem Lawo-Pult spricht. Das heißt, wenn wir eine bestimmte Quelle rausschalten, zum Beispiel eine EVS, dann schaltet das Lawo-Pult automatisch den Ton mit“, erklärt Blens.
Er weist darauf hin, wie wichtig die Tonregie des Ü-Wagens bei einer so großen Produktion wie bei der Tour de France ist. Das aufwändigste dort sei die gesamte Kommandoanlage. Ü2 arbeitet mit einer Riedel Artist (64×64). „Wir müssen in jedes Fahrzeug, in das wir Signale liefern, auch ein Kommando-Panel haben. Alle Schnittmobile müssen nicht nur mit dem Ü-Wagen, sondern auch untereinander mit allen Arbeitsplätzen kommunizieren können“, sagt Blens. Bei der Tour de France hatte TV-Unit zwei Dreiplatz- und ein Zweiplatz-Schnittmobil am Start. „Für den Toningenieur war es immer ein Riesenakt, die Kommunikation aufzubauen“, meint Blens.
Die Tour de France zählt zu den größten und komplexesten Produktionen von TV-Unit im Jahr. „Es wird hier ein immenser Technikaufwand getrieben. Mit Ü2 müssen wir hier eine Menge Signale verarbeiten können. Bei unserem Bildmischer ist jede Taste auf der ersten Ebene belegt und alle drei Mischebenen sind in Betrieb“, resümiert der Ü-Wagen-Leiter von TV-Unit. Er lobt seinen Ü2. Das Fahrzeug sei unglaublich flexibel, meint er. Blens: „Das ist ein Plug-and-Play Ü-Wagen. Wir stellen den hin, schließen unsere Kameras an und das Ding läuft – und zwar sehr stabil.“ Das sei bei einer Produktion wie bei der Tour de France sehr wichtig. „Andere Ü-Wagen haben da doch deutlich mehr Probleme. Ü2 ist zwar etwas älter, aber mit neuer, ausgereifter Technik ausgestattet“, sagt er.
Ü2 bleibt laut Blens ein klassischer SD-Ü-Wagen. Ende des Jahres soll die TV-Unit-Flotte jedoch um einen neuen HD-Ü-Wagen erweitert werden.
Eckhard Eckstein (MB 09/07)