Mission: die ARD retten

Christine Strobl, seit 1. Mai ARD-Programmdirektorin, hat direkt viel zu tun, denn im Senderverbund stehen weitreichende Veränderungen an: ARD und ZDF wollen mit einem gemeinsamen Streaming-Netzwerk unter anderem die Zielgruppe der unter 50-Jährigen zurückgewinnen. Wie das gelingen soll, erzählt Strobl im mebulive-Interview.

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Mission: die ARD retten
ARD-Programmdirektorin Christine Strobl ©ARD/Laurence Chaperon

Frau Strobl, wie lautet Ihr erstes Fazit nach vier Monaten als ARD-Programmdirektorin?

Veränderungen geschehen nicht über Nacht, sie sind Ergebnis einer gemeinschaftlichen Anstrengung und eines Miteinanders – und das ist eine fordernde, aber auch schöne Aufgabe, der wir uns alle stellen. Wir, Florian Hager, Oliver Köhr und ich, haben den Intendantinnen und Intendanten dazu einen Vorschlag unterbreitet und sie haben uns Rückenwind gegeben. Wir wollen das Profil des Ersten schärfen und gleichzeitig in neue digitale Formate investieren, um die ‘Generation Streaming‘ zu erreichen. Für sie müssen wir regelmäßig Serien, Filme und Dokumentationen in der Mediathek anbieten, die konkurrenzfähig sind. Die Mediathek ist eine große Chance, weil wir da viele Zielgruppen sehr präzise erreichen können. Diesen Umbau, den wir vor einem Jahr eingeleitet haben, müssen wir jetzt konsequent fortführen und regelmäßig eigene und originäre Angebote für sie schaffen. Gleichzeitig müssen wir unser lineares Flaggschiff ­weiter im Profil schärfen, um damit eine noch größere Relevanz und Durchschlagskraft zu erzielen.

Die ARD braucht mehr Programm mit Strahlkraft. Heißt das: mehr Dokus, die auch in der Primetime laufen, mehr Personal Branding à la Eckart von Hirschhausen oder Ingo Zamperoni und weniger föderales Prinzip?

Strahlkraft ist ein gutes Stichwort. Aufgrund der gestiegenen Konkurrenzsituation muss sich die ARD mit internationalen Playern gerade im Bereich der Dokumentationen und der Fiktion messen lassen. Vielen Dokumentationen oder Serien von Streamern sieht man die gestiegenen Produktionsbudgets sehr deutlich an; oft ist das viel mehr, als der ARD zur Verfügung steht. Umso mehr müssen wir unsere Kräfte bündeln, ohne das regionale und föderale Prinzip zu vernachlässigen. Kooperationen sind ein guter Weg, um hochwertige Dokumentationen oder auch große Serien wie „Babylon Berlin“ zu realisieren. Bei der teuren Fiktion müssen wir von vornherein auf große Stückzahlen setzen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig müssen wir, wenn nicht mehr Mittel zur Verfügung stehen, an anderer Stelle weniger machen. Gleiches gilt für Dokumentationen: Sowohl für die Mediathek, als auch für die ARD-Primetime brauchen wir hochwertige, relevante Dokumentationen. Natürlich nicht jede Woche, aber als Programm-Highlight, das dann auch entsprechend sichtbar ist, schon. Klar ist: Wenn wir mit der ARD Mediathek gegenüber internationalen Anbietern konkurrenzfähig sein wollen, müssen wir auf hochwertiges Qualitätsprogramm setzen, hierzu unsere Produktionskraft und Etats bündeln. Bestimmte Prozesse müssen stärker verzahnt werden, alle müssen an einem Strang ziehen, um mehr Inhalte mit Strahlkraft anzubieten. Nur so bleiben unsere Angebote von der Diversität, Erzählart und Form her auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. In vielen Bereichen ist die ARD exzellent aufgestellt, gerade im Info-Bereich. Wir haben die besten Nachrichtensendungen und investigativen Redaktionen. Hier liegt viel Potenzial für die Mediathek und das lineare Programm. Konkrete Pläne für inhaltlich neue Formen und Genres bestehen, aber noch ist es zu früh für Ergebnisse.

Bis 2022 soll Ihr Gesamtkonzept stehen – welche programmlichen Schwerpunkte setzen Sie, wo sehen Sie Einsparungspotenzial?

Wir müssen weg vom Denken in Sendeplätzen und uns stattdessen viel stärker auf Themenfelder und Genres fokussieren. Zukünftig geht es nicht mehr darum, Sendeplätze zu befüllen, sondern attraktive Angebote für lineares TV und die Mediathek zu kreieren. Als Programmdirektorin bin ich nicht nur fürs Erste Deutsche Fernsehen, sondern auch für die ARD-Mediathek zuständig. Beide Ausspielwege müssen als ein gemeinschaftliches Angebot konzipiert und gedacht werden. Der Blick auf die ganze ARD-Flotte eröffnet neue Möglichkeiten. Wie können wir die Bereiche von Information, Unterhaltung und Kultur neu definieren? Müssen wir für die Mediathek mehr auf Köpfe und Comedy ­setzen?
Dafür müssen wir übergreifend denken. Wichtig ist es zugleich, dass wir die Verlässlichkeit im Programmangebot des linearen Fernsehens ernst nehmen. Aber die Programmanforderungen müssen sich stärker und deutlicher an beiden Ausspielwegen orientieren.

Ist es eine Herkulesaufgabe, komplementäre, digitale Angebote parallel zum linearen Fernsehen für immer speziellere Zielgruppen mit nur einer Rundfunkgebühr anzubieten?

Auf jeden Fall ist es eine große Herausforderung. Das Ziel, den digitalen Umbau zu stemmen, klassisches Fernsehen und digitale Angebote attraktiv zu gestalten, kann nur erreicht werden, wenn man übergreifend denkt. Momentan befinden sich in der Mediathek noch knapp 90 Prozent Programmangebote, die auch im linearen Programm zu sehen sind. In der Mediathek können wir speziellere, auch jüngere und kleinere Zielgruppen erreichen und schaffen damit eine viel präzisere Ansprache als dies im Ersten Deutschen Fernsehen möglich ist, wo es immer noch um das große Lagerfeuer, vor dem sich alle versammeln können, gehen muss. Das Digitale bietet eine riesige Chance, um uns mit dem Programm nicht an alle, sondern gezielt an bestimmte Zielgruppen zu wenden, zum Beispiel wie bei der Dramedy-Serie „All You Need“, die im Queer-Milieu angesiedelt ist. Auch eine Instagram-Serie wie „Ich bin Sophie Scholl“ oder das multimediale Format „Rabiat“, ein Reportage-Format aus dem Blickwinkel junger Autorinnen und Autoren, sind neue Erzählformen, die in der ARD Mediathek ihr Publikum finden. Diese Formate, die sich speziell an Bevölkerungsgruppen richten, die sich nicht mehr mit klassischem Fernsehen erreichen lassen, aus dem gleichen Topf zu stemmen, ist herausfordernd. Für die Mediathek brauchen wir mehr serielle Angebote aus dem Bereich Doku und Fiktion, die wir neben dem linearen TV-Angebot produzieren. Aber wir werden diesen Spagat meistern: das Stammpublikum informieren und unterhalten und gleichzeitig junge und neue Zielgruppen für digitale ARD-Angebote faszinieren. Die ARD versteht sich als Sender und Anbieter für alle, unabhängig von Alter, Bildung und Geschlecht.

Dennoch: Lineare TV-Angebote sind für Jugendliche selten ­attraktiv, die lieber online surfen. Mit einer Mediathek gemeinsam mit dem ZDF wollen Sie diese Zielgruppe für Das Erste, auch gegen die amerikanische Streaming-Dominanz, zurückgewinnen. Wie soll das gelingen?

Eine intensive Zusammenarbeit beim Streaming-Netzwerk von ARD und ZDF ist beschlossen worden, um das Programmangebot den Nutzerinnen und Nutzern einfacher zugänglich zu machen. Das heißt, dass in Zukunft die Inhalte beider Angebote weitgehend schrankenlos verfügbar gemacht werden sollen. Dabei bleiben aber die Benutzeroberflächen der sendereigenen Mediatheken bestehen. Für das Streaming-Netzwerk soll eine übergreifende Suchfunktion über beide Angebote eingerichtet werden, um damit Inhalte besser verlinken zu können. Auch ist ein übergreifendes Personalisierungs- und Empfehlungssystem in Planung und vieles mehr. Dabei ist wichtig, dass die inhaltliche Eigenständigkeit von ARD und ZDF bestehen bleibt und auch die Marken nicht verwässert werden.

Daneben müssen wir aber auch, um amerikanischen Playern programmlich Paroli bieten zu können, Kooperationen mit anderen europäischen Anbietern eingehen. Bei Serien wie „Beforeigners“ oder „Twin“, die gerade in der ARD Mediathek zu sehen sind, setzt die ARD bereits auf diese Karte. Es ist wichtig, Geschichten aus europäischer Perspektive zu erzählen, und nicht nur den Gesellschaftsbildern großer amerikanischer Konzerne zu folgen. Diese europäische Identität müssen wir bewahren. Unser Weg ist: einerseits auf nationaler Ebene zu prüfen und mit der Politik zu diskutieren, inwieweit wir bei der Verbreitung digitaler Inhalte mit dem ZDF kooperieren können; andererseits europäische Kooperationen mit anderen Sendern anzustreben, um hochwertige fiktionale Serien produzieren zu können.

Das gesamte Interview mit Christine Strobl ist in der aktuellen Ausgabe von mebulive nachzulesen.