Integraler Bestandteil eines Infrastrukturmixes

Die DVB-T-Entwicklung in Deutschland hat durch den Rückzug der RTL-Gruppe aus der terrestrischen Verbreitung einen herben Dämpfer erhalten. MEDIA BROADCAST, Betreiber der DVB-T-Sendernetze, ist dennoch zuversichtlich, dass DVB-T hierzulande seinen Stellenwert im Wettbewerb der Verbreitungswege behalten wird. MEDIEN BULLETIN sprach darüber auf der ANGACOM 2013 in Köln mit den MEDIA BROADCAST-Managern Michael Moskob, Leiter Regulierung und Public Affairs, und Holger Meinzer, Senior VP der TV-Unit.

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Integraler Bestandteil eines Infrastrukturmixes

RTL hat sich von der DVB-T-Verbreitung verabschiedet. Was bedeutet das für den Netzbetreiber MEDIA BROADCAST?

Michael Moskob: Wir nehmen dies zur Kenntnis und sind sicher, dass RTL die weitere Marktentwicklung verfolgen wird, um seine Entscheidung, nicht mehr auf allen Verbreitungsplattformen im Relevant Set vertreten zu sein, bei Bedarf noch mal zu überprüfen.

Gleichwohl können wir die RTL-Forderung nach Planungssicherheit mit Blick auf langfristige Gewährleistung der Frequenzen, die politisch ja immer wieder in Frage gestellt wurde, in einem gewissen Maße gut nachvollziehen. Das beeinflusst natürlich die Investitionsbereitschaft, auch auf unserer Seite. Unsere Forderung an die Medienpolitik ist deshalb, Maßnahmen zu ergreifen, um das terrestrische Rundfunkspektrum nicht nur kurz- und mittelfristig, sondern auch langfristig zu sichern.

Holger Meinzer: Unterstützung für eine Sicherung der Frequenzressourcen, für ein Zukunftskonzept der Terrestrik, ist auf jeden Fall vorhanden. So hat Dr. Jürgen Brautmeier, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) erklärt, dass er die Terrestrik insgesamt als integralen Bestandteil der Mediendistribution sieht. Auf Bundesebene gibt es allerdings auch Kräfte, die für eine Frequenzumverteilung plädieren. Kein Wunder, wenn RTL also einen Mangel an Planungssicherheit ausmacht. Das Positive am DVB-T-Ausstieg von RTL ist, dass jetzt eine Diskussion über den Wert der Terrestrik per se entstanden ist. Und da wird auch sehr schnell der Bogen zur Breitbandpolitik geschlagen. Vielen ist klar geworden, dass es hier nicht nur um eine medienpolitische, sondern auch um eine infrastrukturpolitische Fragestellung geht, die nur in einem Gesamtkontext beantwortet werden kann. DVB-T ist nicht nur wegen der einfachen Nutzung und günstigen Kostenstruktur medienpolitisch von Relevanz, sondern weil die Terrestrik mit einer Langfristperspektive auch ein wichtiger Baustein in einer integrierten Netzstruktur bestehend aus TK- und Rundfunk-Komponenten sein kann. Die Diskussion darüber findet gerade statt. Wir unterstützen die und nehmen wahr, dass auch die Politik diese Diskussion zunehmend als notwendig ansieht.

Trotzdem die Frage: Kann sich die digitale Terrestrik im Wettbewerb mit anderen Übertragungswegen langfristig behaupten?

HM: Es besteht kein Zweifel darüber, dass bei DVB-T Verbesserungsbedarf besteht, und dass wir auch noch weitere technologische Schritte gehen müssen, um auch im Infrastruktur-Wettbewerb attraktiv zu bleiben. Aber wir reden in Ballungsräumen auch schon heute über Marktanteile, die die mit über 20 Prozent nicht marginal sind. Auf den asiatischen Märkten spielt DVB-T2 als nächste Technikgeneration eine große Rolle und zeigt auch, was damit hier bei uns möglich wäre. Die Perspektive, die wir im Ausland wahrnehmen, zeigt uns auch, dass wir mit der Terrestrik hier in Deutschland auf dem richtigen Weg sind und Marktpotenziale für erfolgversprechende Gesamtlösungen vorhanden sind.

Was macht MEDIA BROADCAST in Asien?

HM: Wir haben den weltweit größten DVB-T2 Versuch im Stadtstaat Singapur gemacht, ihn maßgeblich geplant und begleitet. Dort haben wir auch sehr intensiv mit Kabelnetzbetreibern zusammen gearbeitet – mit Blick auf den Infrastrukturwettbewerb interessant. Die Netzbetreiber haben parallel zum Kabel eine terrestrische Infrastruktur aufgebaut, um mit uns zusammen die Migration zu DVB-T2 zu testen. Ein weiterer Partner in diesem Trial war ein führendes Telekommunikationsunternehmen mit dem wir auf technischer Ebene echte Konvergenzszenarien realisiert haben, einschließlich der gemeinsamen Nutzung bestehender Sendeinfrastrukturen. So haben wir in einer Shopping Mall getestet, wie die sich dort befindlichen Repeater für Mobilfunk auch gleichzeitig für die Indoor-Verbreitung von DVB-T2 nutzen lassen. Es gibt in diesem Bereich sehr viele gute Ansätze, nicht nur auf der technischen sondern auch auf der Geschäftsmodell-Ebene. Und wir würden uns wünschen, auch in Deutschland vergleichbare integrierte Szenarien aufsetzen zu können.

MM: Bei DVB-T2 überwiegen die Aktivitäten in Asien. In Deutschland brauchen wir erstmal einen allgemeinen Branchenkonsenz zum Ausbau der bestehenden Infrastruktur. Dazu gibt es ein klares Bekenntnis von der ARD/ZDF-Intendantenkonferenz zur IFA 2012, dass man Konzepte für die DVB-T2-Entwicklung vorantreiben möchte und dass man auch die privaten Anbieter dabei haben möchte. Wir sind dazu technisch in der Lage. Das haben wir in vielfältigen Projekten schon unter Beweis gestellt.

Und warum geht es nicht voran in Richtung DVB-T2?

HM: Nach der RTL-Entscheidung zum DVB-T-Ausstieg und dem Argument der nicht gegebenen Frequenzsicherheit mussten die seinerzeit begonnenen Konsensgespräche zur Zukunft der Terrestrik neu geordnet werden. Zudem nehmen wir einen Wandel in der Gesamtdebatte war, den wir durchaus positiv beurteilen.

Auch die Telkos haben jetzt gemerkt, das die Politik sich hier ein Stück weit anders aufgestellt und erkannt hat, dass mehr Frequenzen für den Mobilfunk nicht die Lösung ist. Wir plädieren deshalb dafür, den Wert der Terrestrik zu wahren und als integralen Bestandteil eines Infrastrukturmixes zu sehen. Wir sehen da auch eine Chance, dass sich Telkos oder Kabelnetzbetreiber dem öffnen werden.

Die setzen vielleicht lieber auf die Bewegtbildverbreitung via LTE?

MM: Wichtig dabei ist die Frage, ob das wirtschaftlich darstellbar ist. Natürlich ist es möglich, audiovisuelle Inhalte über LTE zu verbreiten. Die Frage ist nur mit welcher Skalierbarkeit. Wir sprechen bei LTE immer über limitierte Möglichkeiten, massen-attraktiven Content zu verbreiten. Das ist systemimmanent und gegenüber Broadcast ein entscheidender Nachteil.

HM: Die betriebswirtschaftliche Machbarkeit ist ein wesentlicher Faktor und nicht das technisch Mögliche. Kernfrage ist die Refinanzierbarkeit der technischen Infrastruktur in Deutschland und wer am Ende dafür zahlt. Darüber muss mehr gesprochen werden. Vor diesem Hintergrund wünschen wir uns in der Tat eine breitere Diskussion, wer – auch im Interesse der Fernsehzuschauer – die Kosten trägt.

Auch weil DVB-T künftig vielleicht einzige Möglichkeit ist, Free-TV zu nutzen?

HM: Die freie Empfangbarkeit ist ja neben der Nutzerfreundlichkeit und dem einfachen Zugang eines der Hauptargumente für DVB-T heute. Insofern stützt sich auch das Geschäftsmodell darauf ab. Andererseits haben wir auch schon vernommen, dass private Veranstalter die künftig mögliche Verbreitung von HD-Inhalten via DVB-T gerne monetarisieren wollen.

Unsere Rolle bei DVB-T ist jedenfalls nur die des technischen Dienstleisters. Wir haben in den verschiedensten Märkten gezeigt, dass wir die Wünsche unserer Kunden technisch und im Geschäftsmodell 1:1 umsetzen können.

Wie könnten die Schritte hin zu DVB-T2 aussehen?

MM: Zur Zukunft der Terrestrik sehen wir drei Phasen: Erstens gilt es die Terrestrik weiter auszubauen und Qualitätssteigerungen durchzusetzen. Mit unserer multithek haben wir dazu einen wichtigen Grundstein gelegt. Der nächste Schritt sollte im Einklang mit den Wünschen und Erwartungen unserer Kunden erfolgen und die Einführung von DVB-T2 ermöglichen. In Deutschland sind wir schon sehr früh mit DVB-T und MPEG-2 gestartet, dadurch steht uns eine begrenzte Bandbreite im Vergleich zu anderen Märkten zur Verfügung. Mit DVB-T2 ließe sich das ändern. Damit kann auch die Verbreitung von Programmen in HD-Qualität und neuer Geschäftsmodelle verbunden sein. In einem dritten Schritt wird es darum gehen, auf Infrastrukturseite konvergente Netze zu entwickeln und aufzubauen. Hierzu existieren derzeit verschiedene Ansätze, die mit Blick auf die Verschmelzung von Telekom- und Broadcast-Netzen diskutiert werden. Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft im Bereich der integrativen Netze liegen wird. Um solch ein Netz erfolgreich auszubauen, benötigen wir indes einen neuen Übertragungsstandard. Und den sehen wir derzeit noch nicht. Standardisierungsprozesse erfodern letztendlich Zeit. So gibt es die Initiative FoB-TV (Future of Broadcasting) in der wir uns auch engagieren. Hier sind verschiedene asiatische Organisationen und die DVB-Organisation mit dem Ziel vertreten, zukünftige Rundfunktechnologien weiterzuentwickeln und entsprechend zu standardisieren. Wir müssen dabei die richtige Schnittstelle zur Mobilfunktechnologie finden. Dabei sprechen wir indes über Entwicklungsprojekte, die über mehrere Jahre laufen werden.

Über welchen Zeithorizont sprechen sie da?

MM: Das ist sehr spekulativ. Ein Daumenwert könnte sein: 2016/2017 der Wechsel von Phase 1 zu 2 und 2020 bis 2025 dann der Wechsel zur Phase drei. Niemand weiß allerdings heute, welche Topologien und Netzszenarien wir dann haben werden und wie wir den „Data-Tsunami“, der auf uns zukommt, bewältigen werden. Wir müssen uns überlegen, was ist medien- und infrastrukturpolitisch wünschenswert, was ist technisch möglich und was ist wirtschaftlich machbar. Diese Diskussion muss jetzt geführt werden, damit ab 2020 finale Konzepte realisiert werden können.
Eckhard Eckstein
(MB 09/13)

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