Jeder kann jeden schlagen

Nachdem RTL als Marktführer im fragmentierten TV-Markt immer mehr Federn lässt, will die ProSiebenSat.1-Gruppe mit einer neuer Portfolio- und Programmstrategie für Sat.1 die Führung übernehmen. Dabei werden Dutzende von Show- und Real-Life-Formaten aufgefahren. Beide Gruppen wollen sich auch mit „journalistischer Relevanz“ und deutscher Fiction profilieren. Derweil stellen ARD und ZDF ihre Spartensender neu auf. Aber erst einmal geht es um die Bundestagswahl.

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Jeder kann jeden schlagen

Alle vier Jahre, jetzt zum zweiten Mal, entdeckt Thomas Ebeling, Vorstandsvorsitzender der ProSiebenSat.1 Media AG, etwas, was selbstverständlich ist. Fernsehen hat eine „gesellschaftliche Verpflichtung“ und die Aufgabe, „die demokratische Gesellschaft in Deutschland zu stärken“. So strahlte ProSieben schon 2009 zur Bundestagswahl das Special „Sido geht wählen“ (SEO Entertainment) aus, mit dem propagierten Ziel, auch junge Wähler zur Urne zu treiben, was nach Meinung von Ebeling ARD/ZDF nicht können, weil sie im Schnitt zu alte Zuschauer bedienen. Auch in diesem September will Ebeling etwas für die Wählermobilisierung der Jüngeren „mit einer kleinen Dosis Unterhaltung“ tun. Dafür stehen Formate mit Show-Star Stefan Raab wie „TV total Bundestagswahl 2013“, „Absolute Mehrheit“, sein Einsatz als Moderator beim großen „TV-Duell“, das die großen Vollprogrammsender gemeinsam gestalten sowie die vierteilige Staffel „Task Force Berlin“ ab Ende August, die ProSieben wieder die Produktionsfirma SEO Entertainment diesmal in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung entwickeln ließ. Nachdem Sido damals prompt mit einer Grimme-Preis-Nominierung belohnt worden war, hat die Sendergruppe zur diesjährigen Bundestagwahl sogar vollmundig eine „Kampagne und Programmoffensive“ unter dem Motto „Geh Wählen!“ angekündigt. Und um zu unterstreichen, wie relevant und gewichtig die Sache politisch ist, hat man rasch vor der großen Sommerpause und nach der Programmpräsentation der Gruppe in Hamburg auch noch ein Symposium zur Wählermobilisierung in der Hertie School of Governance in Berlin Mitte veranstaltet. Neben jeder Menge Grußworte ging es um die Vorstellung einer Nichtwähler-Studie, die man bei Forsa in Auftrag gegeben hatte und deren ernüchternde Ergebnisse schon vor Monaten publiziert worden waren. Mit einer aktiven Wahlbeteiligung zur Bundestagswahl von unter 70 Prozent wird ein neuer Nichtwählerrekord erwartet.

Es war eine Lobbying- und Marketing-Veranstaltung, die sich vor allem an Bundestagsabgeordnete wenden wollte. Doch die waren an diesem Tag mit echten politischen Entscheidungen im Bundestag beschäftigt, so dass ihre Plätze von zusammen getrommelten Studenten eingenommen wurden und der Beiratsvorsitzende ProSiebenSat.1, Dr. Edmund Stoiber, nur ein paar wenigen bayerischen Standort-Kollegen seine Botschaft mitteilen konnte: Es sei gut, dass sich ein Unternehmen der Wählermobilisierung annehme, „das nicht gebührenfinanziert“ sei. Damit wolle man, wie er explizit betonte, auch die Nichtwähler aus dem „Prekariat“ erreichen, wobei Stoiber gleichzeitig die Frage aufstellte, ob dies überhaupt sinnvoll sei. Tatsächlich ist es laut Forsa-Studie so, dass sich Wähler im Gegensatz zu Nichtwählern via Fernsehen über Politik in erster Linie nur bei ARD/ZDF informieren und Sat.1 und ProSieben wenn überhaupt nach n-tv, N24 sowie RTL nur eine marginale Rolle spielen.

Selbstredend haben alle Vollprogrammsender in Deutschland Sondersendungen zur Bundestagswahl angekündigt und wollen dito Nichtwähler mobilisieren. Doch nur ProSiebenSat.1 hat die Marketing-Idee, nicht einen versierten Journalisten, sondern mit Stefan Raab einen Show-Star als Kommunikator für junge Menschen ins Talk-Rennen zu schicken, und wird damit so oder so höchste Aufmerksamkeit gewinnen. Schließlich hatte Ebeling schon vor Jahren erkannt, dass kontinuierliche Information und Nachrichten viel zu teuer sind und deshalb den Nachrichtensender N24 abgestoßen. Nachrichten seien eher „nur für das Image bei Politikern wichtig“, analysierte er damals, ohne zu bedenken, dass auch die ein Langzeitgedächtnis haben. Seit einiger Zeit steht ihm ja aber mit Stoiber ein Politiker als Berater zur Seite.

RTL-Experiment am Donnerstag

Im Vergleich zu ProSiebenSat.1 steht RTL in Sachen politischer Berichterstattung viel besser da und hat dafür einen eigenen Volksfernsehen-Stil entwickelt. Aushängeschild ist mit Chefredakteur Peter Kloeppel ein versierter politischer Journalist, der sowohl als Nachrichten-Anchorman wie als Reporter relevante Fragen stellen kann. Gleichzeitig wurde seit 2008 mit InfoNetwork eine unternehmenseigene Unit aufgebaut, die die Mediengruppe RTL mit Nachrichten-, Magazin- und sogenannten Real-Life-Formaten rund um die Uhr versorgt – und damit das entsprechende Programm insgesamt auch preiswerter macht. Diese Zulieferung will nun Frank Hoffmann, der im Februar dieses Jahres die RTL-Programmgeschäftsführung von RTL Group-Chefin Anke Schäferkordt übernahm, „stärker journalistisch“ positionieren, nicht nur zur Bundestagswahl, sondern generell für „mehr „Relevanz“ im Programm sorgen. So wird RTL ab September, wie berichtet, unter anderem werktags in der Zeit zwischen 6.00 und 8.30 Uhr ein zweieinhalbstündiges Frühmagazin senden und die bisherigen Wiederholungen der fiktionalen Dailys („Alles, was zählt“, „Unter uns“, GZSZ) erst ab 8.30 Uhr bringen. Für journalistisches Profil á la RTL sollen auch wie gehabt „Team Walraff“ und das „Jenke Experiment“ sorgen.

Nun hat RTL seit geraumer Zeit in verschiedenen Ziel- und Altersgruppen nicht unerhebliche Marktanteile verloren, an das ZDF, an ProSieben, an RTL II und andere Sender im sich zunehmenden fragmentierenden TV-Markt. Deshalb hatte Schäferkordt vor einem Jahr im Ruck-Zuck-Verfahren beschlossen, RTL mit RTLNitro, der sich an eine männlich jüngere Zielgruppe wendet, „sich selber zu fragmentieren“, um Anteile zurück zu gewinnen. Gleichzeitig hatte sie die Referenzzielgruppe für die Werbung mal schnell um zehn Jahre auf 14 bis 59 Jahre angehoben, mit dem Effekt, dass sich RTL selber weiterhin als Marktführer ausloben kann.

Da nun Nitro für die Männer sorgt, soll RTL noch stärker die Frauen bedienen. Dazu hat Hoffmann einen großen Schnitt in das bisherige RTL-Programm gesetzt, ein Experiment, bereits ab dem 22. August für die Prime-Time am Donnerstag, nolens volens. Weil die langjährigen US-Erfolgsserien CSI und Dr. House ausgelaufen sind, muss an ihrer Stelle etwas anderes her. Und das sind drei deutsche fiktionale Eigenproduktionen im Line-Up. Den Anfang bildet die Romantic Drama-Serie „Doc meets Dorf“, eine teamworx-Produktion. Sie wird von Produzentin Steffi Ackermann verantwortet, die RTL vor Jahren viel Lob für „Doctor’s Diary“ als Hoffnungsschimmer für eine innovative deutsche Serie bescherte und danach von teamworx eingekauft wurde. Ob es noch einmal gelingt, wird sich zeigen. Sicher ist, es sind skurrile junge Geschichten, die sich an ein weibliches Publikum wenden. Darauf folgen mit „Christine, Perfekt war gestern“ und „Sekretärinnen – Überleben von 9 bis 5“ zwei halbstündige Comedy-Serien, die eigentlich schon für die verflossene Saison angekündigt worden waren. Alles sehr humorvoll, sehr jung und weiblich – durchaus eine neue ungewohnte Programmfarbe aber auch ein Wagnis für RTL, zumal in Richtung der bisherigen Stammseher von CSI und Dr. House.

Ebenso will Hoffmann nun auch die bereits im letzten Jahr von Schäferkordt angekündigte Comedy-Serie „Der Lehrer“ ab 2014 tatsächlich zeigen. Sie soll dann das Schlusslicht eines Line-Ups bilden, zu denen die zwei neuartigen Arztserien „Schmidt – Chaos auf Rezept“ (Constantin Television Produktion) und „Der Knastarzt“ (ITV Studios Germany) zählen. Letztere Serie ist allerdings noch bis Ende September im Dreh. Als starbesetzte Event-Movie-Produktion kündigte RTL zum zweiten Mal „Helden – Wenn DEIN Land DICH braucht“ (Dreemtool Entertainment/Epo Film) an. Es handele sich um „das größte fiktionale Event der neuen Saison“ und zeige, „wie Deutschland zusammen rückt, Menschen über sich hinauswachsen und zu schier Unfassbarem in der Lage sind“. Nach einer großen Katastrophe, natürlich. Nicht angekündigt hatte Hoffmann indessen das große fiktionale Event „Götz von Berlichingen“, gespielt von Henning Baum (erfolgreich bei der Sat.1-Serie „Der letzte Bulle“) aus der Erfolgsschmiede teamWorx, die zur RTL Group/Bertelsmann gehört. Es war aber auch erst nach der RTL-Programmpräsentation in Hamburg in Dreh gegangen und wird vermutlich erst in der übernächsten TV-Saison zu sehen sein. Unendlich viel Geld für neue fiktionale Produktionen kann Hoffmann wohl nicht spendieren, zumal Bertelsmann, wie berichtet, einiges von der RTL Group abgezogen hat und die neuen Fußballrechte auch nicht billig waren. Jetzt stehen RTL immerhin zwanzig Live-Qualifikationsspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zur EM-Endrunde 2016 in Frankreich und zum WM-Turnier 2018 in Russland zur Verfügung. Allerdings gehen sie erst ab September 2014 los. Dank Fußball konnte RTL aber bereits in diesem Sommer mit dem Audi-Cup eine gute Quote erzielen.

Eine andere RTL-Idee, vielleicht verlorenes Publikum zurück zu holen, ist, Thomas Gottschalk zum RTL-Show-Moderator zu machen. So soll er im Januar gleich zweimal „30 Jahre RTL“ präsentieren. Schon im Herbst gibt es die neue Event-Show „Die Zwei – Gottschalk & Jauch gegen ALLE“ zu sehen, eine laut RTL „interaktive Liveshow gegen ganz Deutschland“. Zudem ist Gottschalk als Moderator für zwei Folgen von „Die große ABBA-Show“ bei RTL eingeplant. Wie bei ProSiebenSat.1 oder ARD/ZDF wird es weiterhin viele Shows im Programm von RTL geben, wie etwa „Unschlagbar“, „Das Supertalent“ mit Dieter Bohlen, „Martin Rütter – Die große Tiershow“, „Deutschland sucht den Superstar“, „Let´s Dance“, „5 gegen Jauch“, „Die ultimative Chart Show“, „Wer wird Millionär?“, „Es kann nur E1NEN geben“, „Alle auf den Kleinen“, „Jungen gegen Mädchen“, „Die 10 …“ und „Die 25 …“. Und natürlich „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ Das Format, auf das Hoffmann anspielte, als er bei der RTL-Programmpräsentation menetekelte, RTL dürfe „niemals seinen Stachel verlieren“, denn „der Weg ins Feuilleton führt manchmal durch den Dschungel“. Tatsächlich hat die Dschungel-Show eine beachtliche Karriere vom Ekel-Format bis zur Grimme-Preis-Nominierung hingelegt und es macht vielen Feuilletonisten Spaß, über die von ihnen entdeckte Doppeldeutigkeit zu parlieren.

Im großen, von RTL höchst selbst erfundenen Real-Life-Bereich bleibt das meiste beim alten: neue Staffeln und Folgen von „Undercover Boss“, „Raus aus den Schulden“, „Die Versicherungsdetektive“, „Christopher Posch – Ich kämpfe für Ihr Recht!“, „Verfolgt – Stalkern auf der Spur“, „Secret Millionaire“, „Vermisst“, „Helena Fürst – Anwältin der Armen“, „Alexa – Ich kämpfe gegen Ihre Kilos“, „Bauer sucht Frau“, „Der Bachelor“, „Einsam unter Palmen“ oder „Schwiegertochter gesucht“.

Christian Rach („Der Restauranttester“) wird allerdings zum ZDF wechseln – oder zumindest auch dort zu sehen sein. Die neuen RTL-Real-Live-Formate sollen „Show Appeal und Doku-Charakter“ haben, wie zum Beispiel „Generation Luxus – Was kostet die Welt?“, „Was verdienst du?“ und „Kämpf um dein Erbe!“. Mit alle dem samt zwei neuen US-Lizenz-Krimiserien („The Following“, „Perception“), Formel 1, Boxen, einigen Action- und Abenteuer-Spielfilmen sowie bewährter Comedy hofft Hoffmann natürlich die RTL-Marktführerschaft in der selbstdefinierten Altersgruppe zu erhalten. Und wenn das nicht gelinge, bleibe immer noch die Fragmentierung, sagte er.

Neue TV-Gründerzeit

In Sachen Selbst-Fragmentierung hat indessen die ProSiebenSat.1-Gruppe die Nase so sehr vorn, dass man schon den Überblick verlieren kann, ob ein Sender wie ProSieben MAXX noch in der Ankündigungsphase oder doch schon gegründet worden ist (soll wohl am 3. September passieren). Konsequenterweise hat ProSiebenSat.1 in diesem Jahr die Neuheiten der größeren Vollprogrammsender wie Sat.1 und ProSieben nicht einzeln sondern in einer Gesamtveranstaltung in Hamburg kundgetan. Da soll es laut Programmpresse viel Marketingdeutsch gegeben haben und hinterher machte ein Potpourri von Unterhaltungsstars-Namen Schlagzeilen, etwa Cindy aus Marzahn, Michael Bully Herbig, Claudia Schiffer, Diana Amft oder Oliver Pocher. Auch die Information, die die Gruppe hinterher an Journalisten schickte, eine seltsame Kombination aus Notizbuch und Cartoon, war nicht darauf angelegt übersichtlich zu informieren, sondern eher zum schnellen durchblättern konzipiert, um die wenigen neuen Highlights bestmöglich zu verkaufen. Spartensender wie sixx, Sat.1 Gold, Kabel classics sind ja nicht dafür da, Neues zu generieren, sondern vorhandenes Programm in Verbindung mit Lizenzware gegenüber der Werbewirtschaft noch einmal optimal, zielgruppenspezifisch zu vermarkten. Dazu gibt es markige Sprüche. Jürgen Hörner, Geschäftsführer ProSiebenSat.1 TV Deutschland verkündet „eine neue Gründerzeit im Fernsehen“. Man habe noch eine Reihe Konzepte für neue Sender in petto. „Wir denken“, so Hörner, heute eher in Portfolios als in einzelnen Sendern“. Als Highlight der Gruppe im Herbst nennt Hörner große Shows, „Promi Big Brother“ (moderiert von Cindy und Pocher) auf Sat.1 und Kochshows wie „The Taste“ und „Hell’s Kitchen“ – und natürlich die Moderation von Stefan Raab im Kanzlerduell.

Derweil lässt Nicolas Paalzow, der relativ neue Sat.1-Chef – von dem man nicht mehr sicher ist, der wievielte er ist – die Parole vom Stapel: „Momentan kann jeder jeden schlagen“. Obwohl er Sat.1 aktuell in einem „Transformationsprozess“ zu was ganz Neuem sieht, hat er schon mal auf den Angriff auf RTL als Marktführer gepfiffen. Zwar betont Paalzow, Sat.1 solle „in Zukunft die erste Adresse für deutsche Fiction im Privatfernsehen sein“, doch noch ist nicht viel Neues dazu bekannt geworden. Auch weiß man noch nicht genau, was Paalzow damit meint, wenn er ähnlich wie Hoffmann von RTL, „journalistische Relevanz“ in Zukunft ausdrücklich auch als eine Sat.1-Farbe verstanden wissen will, an die sich das Sat.1-Publikum „wieder gewöhnen“ müsse, wie er in einem Interview sagte. Sicher ist: Mit Marc Bator hat sich Paalzow einen Nachrichtenmann von der „Tagesschau“ geholt. Es wird neue Serien-Staffeln von „Der letzte Bulle“ und „Danni Lowinski“ geben, die „Affäre Wulff“ (teamWorx) als Event sowie „Donnerherz – Der Freiheit entgegen“ (Max Wiedemann und Quirin Berg), wann immer sie gesendet werden. Geplant ist eine neue deutsche eigenproduzierte Serie „Josy – Allein unter Bullen“, in der Diana Amft wie bei der damaligen RTL Serie „Doctor’s Diary“ und der aktuellen RTL Serie „Christine, Perfekt war gestern“ die Hauptrolle spielt. Ohne konkret zu werden, verspricht Paalzow auch neue Sat.1-Movies. Ebenso bringt Sat.1 „The cop – Crime Scene Paris“ mit Jean Reno, eine von der eigenen Produktionstochter Red Arrow gelieferte Serie auf den Schirm wie eine neue Staffel der US-Serie „Homeland“. Hinzu kommen die Hollywood-Serien „Crossing Lines“ und „Criminal“.Als potentiell neues Erfolgsmuster für den Sender Sat.1, der in jüngerer Vergangenheit häufig auf einen einstelligen Marktanteil in der Prime-Time rutschte, haben Ebeling und Paalzow offensichtlich eine noch stärkere Kopie von RTL-Formaten mit neuen Produktionsnuancen ausgemacht. Aus RTLs Langläufer-Show „Let’s Dance“ ist beispielsweise bei Sat.1 ein durchaus erfolgreiches Format „Got to dance“ geworden“. Auch gelang es der ProSiebenSat.1-Gruppe zuletzt, RTLs „Deutschland sucht den Superstar“ mit „The Voice“ und „The Voice Kids“ zu überflügeln. Geplant ist mit „Promi Big Brother“ (Endemol) nun eine neuartige Dschungel-Show, die Sat.1 nicht irgendwo in Australien, sondern in Berlin stattfinden lässt. Moderiert wird sie von Cindy aus Marzahn und Oliver Pocher. Mit dieser Paarung hofft man offensichtlich das frühere RTL-Erfolgs-Duo Sonja Zietlow mit dem verstorbenen Dirk Bach zu übertrumpfen. Daneben setzt Sat.1 auf Koch-Castingshows wie „The Taste“ (auch produziert von der eigenen Tochter Red Arrow) und „Hell’s Kitchen“, ein ähnliches Format, das RTL schon einmal mit „Teufels Küche“ brachte. Und nach dem RTL-Modell hat Sat.1 jede Menge alte und neue Real-Life-Formate parat. Auch spielen wie bei RTL Comedy, Sitcom und Lizenzware eine Rolle.

Neue Online-Geschäfte

Während sowohl RTL wie Sat.1 in die Programmoffensive gehen, verstärken die beiden den deutschen Markt immer noch dominierenden Privatsender-Gruppen gleichzeitig auch ihr Online-Engagement über verschiedenste Plattformen und Diversifizierungen, um an noch mehr Cash in der Wiederverwertungs-Wertschöpfungskette zu kommen. Dabei wird ProSiebenSat.1 wohl bald ein reines Börsen-Unternehmen werden, weil die Investoren KKR/Permira aus der Gruppe aussteigen und ihre Anteile an der Börse breit verkaufen wollen. Ohne den Einfluss von Großaktionären werde ProSieben unabhängiger und flexibler in der Entscheidung werden, freute sich Ebeling gegenüber der SZ. Indessen hat der Medienkonzern Bertelsmann zwar rund 17 Prozent seiner RTL-Group-Aktien verkauft und zuvor von der Gruppe rund 1,6 Milliarden Euro abgeholt. Als Mehrheitsaktionär mit 75,1 Prozent wird Bertelsmann weiterhin den größten Einfluss auf den Kurs von RTL behalten. Im Wettbewerb mit der ProSiebenSat.1-Gruppe hat es Bertelsmann allerdings mit dem cleveren Wirtschaftsmanager Ebeling zu tun. Seine Idee, Werbezeiten an ausgewählte Start-up-Unternehmen zu verteilen und im Gegenzug dafür eine Umsatz- und/oder Unternehmensbeteiligung zu erhalten, hat sich aktuell als gut funktionierendes Geschäftsmodell entpuppt. Mit diesem Ventures-Geschäft hat der Konzern bereits über 60 Beteiligungen und Partnerschaften aufgebaut, die das Wachstum der Gruppe zurzeit beflügeln. Dazu gehört etwa das Erlebnisgeschenke-Portal mydays sowie die Preisvergleichsplattform billiger-mietwagen.de. Auch im Bereich Online-Video sieht sich die ProSiebenSat.1 Gruppe mit einem Marktanteil von 47 Prozent als „Deutschlands führender Bewegtbild-Vermarkter“. Und hat sich parallel dazu im Musikgeschäft mit Streaming-Diensten ausgebreitet.

Derweil baut die Mediengruppe RTL ihr Online-Geschäft beispielsweise unter dem Dach von Bertelsmann durch stärkere Kooperation mit der arvato-Tochter rtv media group im Bereich von TV-Portalen und dem EPG-Geschäft aus. Und nachdem die Mediengruppe RTL lange Zeit die Strategie verfolgte, ihre Sender im SmartTV nur über HbbTV verfügbar zu machen, hat sie nun eine Vereinbarung mit dem online-basierten Service des TV-Anbieters Magine geschlossen, um ihre Sender als Abonnement-Dienste für Apple Geräte und für Samsung SmartTVs verfügbar zu machen.

Neupositionierung ARD/ZDF

Selbstredend stellen sich auch ARD/ZDF im durch Digitalisierung fragmentierenden TV-Markt neu ein. Hier bahnt sich als größte Veränderung eine Einigung zwischen ARD und ZDF an, einen neuen Jugendkanal zu etablieren, der federführend von der ARD finanziert und gemanagt werden soll. Genau das hat die Rundfunkkomissions-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer angeregt. Laut Funkkorrespondenz hat sie insgesamt eine Neuordnung der öffentlich-rechtlichen Spartenkanäle vorgeschlagen. Danach sollen ARD und ZDF demnächst zwar auf vier Kanäle (Eins Festival, Eins Plus, ZDFinfo und ZDFkultur) verzichten, wie es teils von ihnen selber angeregt worden war. ZDFneo könne aber, was sich das ZDF schon lange wünscht, zum Vollprogramm mit Nachrichten für die Zielgruppe 30 plus ausgebaut werden. Dafür solle dann das ZDF auf ZDFinfo verzichten, weil allein „Tagesschau 24“ zum Nachrichtensender ausgebaut werden solle. Außerdem regte Dreyer an, die Sieben-Tage-Regel zum Verbleib von ARD/ZDF-Sendungen in den Mediatheken weitgehend aufzuheben, um eine zeitunabhängigen Abruf zu ermöglichen. Das allerdings muss so oder so ähnlich noch von allen Bundesländern im 14. Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben werden.

Höchste Zeit also, dass die Privatsender mehr journalistische Relevanz für ihre Programme angekündigt haben. Vor allem wird es aber im neuen Wettbewerb des fragmentierten Marktes noch viel mehr Show und Marketing geben.
Erika Butzek
(MB 09/13)