Radiofernsehen – geht das?

Um, falls es von den Ländern genehmigt wird, einen TV-Jugendkanal für 14- bis 29-Jährige auf die Beine zu stellen, setzen ARD/ZDF auf die durchaus erfolgreichen jungen ARD-Radiowellen. Die sollen die Programmideen und teils auch die Umsetzung liefern. Auch um Kosten zu sparen. Die spannende Frage ist nur, wie man das, was fürs Ohr produziert wird, auch ins Visuelle umsetzen kann, meint Barbara Jung, die beim Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) als Leiterin Multimedia der Jugendwelle fritz auch für fritz.tv zuständig ist.

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Radiofernsehen – geht das?

Mal zur Erinnerung: Anfang der 60er Jahre bekam die ARD zunehmend ein Altersproblem. Junge Zuhörer und junge Zuschauer schalteten nicht die ARD-Programme ein sondern wanderten ab, um sich bei den englischsprachigen Soldatensendern AFN, BFBS oder Radio Luxemburg und den aufkommenden Piratensendern zu vergnügen, die genau die Musik on Air schickten, die sie hören wollten. Da kam Radio Bremen für die ARD auf eine geniale Idee. Man räumte ab 1965 jeden Samstagnachmittag auf Das Erste einen Sendeplatz für den „Beat-Club“ ein, um die Jüngeren wieder einzufangen. Damals war es eine Sensation, dass man nun all die Pop-und Rockstars aus England und USA nicht nur hören, sondern auch sehen konnte. Gleichzeitig trat mit Uschi Nerke eine Moderatorin auf, die mit ihrem Outfit genau den Lifestyle präsentierte, der damals Trend war. Der Beat-Club geriet für Jüngere zu einem „must see“.

Danach gab es den „Rockpalast“ bei der ARD und mit Hilfe von Stefan Raab und ProSieben wurde der Eurovision Song Contest auf Vordermann gebracht. Doch internationale Musikstars und große Shows kosten im Fernsehen heute eine Menge Geld, das selbst die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht wöchentlich ausgeben wollen oder können. Preiswerte tägliche Soaps und Scripted Reality rund um Alltagsprobleme für Jüngere wie GZSZ und „Berlin – Tag und Nacht“ haben die privaten TV-Sender im Programm so wie sie auch die Casting-Shows mit preiswerten Möchte-Gern-Stars erfolgreich eingeführt haben und skurril-lustige Doku-Reality-Formate wie Dschungelcamp. Aber auch die kommen, wie es die „Lindenstraße“ bei der ARD erfahren musste, in die Jahre. Bemerkenswert, was die Verjüngungsanstrengungen beim ZDF angeht, war beispielsweise, dass man die Jungstars Joko und Klaas, die sich übrigens mitunter auch im Radio tummeln, nach ProSieben ziehen ließ.

All das, was jüngere Menschen im Fernsehen in der Regel gerne bei den privaten TV-Sendern einschalten, hat nichts mit Hören, sondern eher voyeuristischem Zuschauen zu tun, womit ARD/ZDF zu Recht öffentlich-rechtliche Probleme haben und deshalb schon seit langem nach einer alternativen Ansprechhaltung für Jüngere suchen.

Wobei sicher ist: Auch heute noch sind Musik und Lifestyle – neben der Liebe und der Partnerschaft – die Hauptthemen, mit denen sich Jüngere begeistern lassen. Die lassen sich auch prima und relativ kostengünstig in den jungen ARD-Radiowellen wie fritz, DasDing (SWR), N-Yoy (NDR), You FM (HR), Puls (BR), Sputnik (MDR) oder 1Live (WDR) rüber bringen, samt Talk, News, Konzertübertragungen, Interviews mit Stars und Tratsch und Klatsch über sie, etwas Comedy und Satire zum Zeitgeschehen, vielen Gewinnspielen und launiger Lebensberatung. Hier ist in der Tat ein riesiges Mitarbeiter-Tool, das auch aus vielen Freien besteht, in der ARD vorhanden, die in Sprache und Alltag der Jüngeren allein deshalb zu Hause sind, weil sie in einem ähnlichen Alter sind.

So ist die Idee, aus Radiothemen auch Videos zu machen bei der ARD nicht neu. Spätestens seit etwa 2008 experimentieren alle jungen ARD-Radiowellen damit und stellen sie als Streaming in ihre begleitenden Online-Angebote ein und setzen dabei auch auf Social Media. Wofür je nach Größe und entsprechender Finanzkraft der einzelnen Rundfunkanstalt mal ein größeres, mal ein kleineres Budget zur Verfügung steht. Die SWR-Radiomacher von DasDing sind beispielsweise sogar schon seit 2002 mit einer eigenen TV-Sendung zunächst auf SWR dann auf EinsPlus auf Sendung. Dafür und für die EinsPlus-Sendung BEATZZ hat der SWR 2012 sogar das sogenannte E-Lab Ende 2012 eingerichtet: ein multimedial vernetztes HD-Studio, das Fernsehen, Radio und Internet verbindet. Es ist die Keimzelle für den geplanten trimedialen ARD-TV-Jugendkanal, mit dem man ja wie ARD-Vorsitzender Lutz Marmor im MEDIEN BULLETIN-Interview sagte, vor allem experimentieren will, wie man neues Fernsehen für Jüngere entwickeln kann.

Auch eine Budgetfrage

Auch beim BR und WDR hat man schon recht professionelles Fernsehen mit dem Impuls der jeweiligen jungen Radiowelle des Landes auf die Beine gestellt. Ganz anders sieht es bei dem eher finanzschwachen rbb aus. Von Barbara Jung, Leiterin Multimedia der Jugendwelle Fritz, erfährt man im Gespräch, dass es gar nicht so einfach ist, aus Radio Fernsehen zu machen.

Das fängt schon mal bei der Budget-Frage an. Es gibt auch keinen Masterplan bei Radio Fritz (mit seinen 100 freien Mitarbeitern und 23 Festen, wovon 22 Mitarbeiter im Multimediabereich beschäftigt sind), um aus Radio Fernsehen zu machen. Viel mehr drehe sich alles um die „Masterfrage“, ob das Radiothema auch visuell interessant ist? Das allerdings kommt nicht häufig vor. Ein kurzes Video fürs Internet wird nur alle paar Tage mal realisiert. Zum Beispiel, wenn man Sido als Star in einem Tram-Konzert an der Hand hat.

Stars und ungewöhnliche Videos haben viele Klicks, weiß Jung, die schon seit 2008 entsprechende Erfahrungen gesammelt hat. Die Entscheidung für Videos werde häufig bei Events gefällt, wovon es ja in Berlin eigentlich keinen Mangel gibt. Aber dann geht es auch um Rechte, die zu bezahlen sind. Gut bebildern lasse sich beispielsweise auch das perfekte Abi-Outfit, alles was mit Mode zu tun habe. Nicht jeder Protagonist, der im Radio auftrete, habe auch Lust vor die Kamera zugehen und manche angesprochenen Politthemen ließen sich nicht so einfach in Bildern umsetzen.

Radio ist schnell, etwas flüchtig, nebenbei. Zwar geht Radio in den Kopf bleibt aber nicht als Bild manifestiert hängen. Welche Videos Erfolg haben hängt laut Jung auch von der Jahreszeit ab und ob es im Internet gut promoted wurde. Über Aktivitäten in Social Media möchte der rbb keine Aussagen machen.

Je nach Wichtigkeit des Radio-Themas werde überlegt, wie viele Kameras eingesetzt werden, erläutert Jung. Man sei mit dem rbb Fernsehen verzahnt. In den Kamera-Lagern in Berlin und Potsdam gebe es spezielle Kameras, die für die Einsätze der Videojournalisten angeschafft wurden. Bisher handele es sich um Panasonic HVX 200/ oder 201. Man sei dabei den Umstieg auf HD mit Panasonic AG- HPX 250 zu realisieren.

Beim rbb werden die fritz-Videos ausschließlich im Netz gezeigt, vorrangig über die eigene Homepage, in der ARD-Mediathek unter dem Rubrum „Einslike“, wo alle Videos für Jüngere aus dem ARD-Verbund von Radio Bremen zusammengefasst werden und mitunter auch auf YouTube, wenn die Rechte dafür vorhanden sind.

Besonders betont Jung, dass bei Videos die Konzertaufnahmen zeigen, häufig im Tonbereich der sehr gut abgemischte Radiomitschnitt genutzt werde. Für die Postproduktion stehen stationäre Rechner bei Fritz mit Avid Liquid oder mobile Rechner mit Avid Liquid und Final Cut zur Verfügung. Die Videojournalisten von fritz nutzen aber auch gerne ihre eigenen mobilen Rechner.

Ausgebildet werden die VJs von der rbb-nahen Electronic Media School, ems. Träger der ems sind der rbb, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg und die Studio Hamburg Berlin Brandenburg GmbH (SHBB GmbH) mit ihrem Technik-Unternehmen Media Consult International (MCI). rbb und mabb halten jeweils 47,4 Prozent der Gesellschaftsanteile, die SHBB GmbH hält 5,2 Prozent.

Ausbau der VJ-Ausbildung

Besonders viele VJs sind bei Fritz aber nicht vorhanden. Dennoch: Gemessen an den Möglichkeiten des rbb ist Jung zufrieden mit der Qualität und den Ideen, die man mit fritz.tv aufbauen konnte. Geplant sei, in Zukunft „fritz.tv wieder mehr zu fördern“. Man habe sich redaktionell umstrukturiert, um mehr guten Content zu bekommen. Es sollen auch mehr Leute in eine VJ-Ausbildung geschickt werden, um die Qualität der Videos zu verbessern, erklärt Jung. Interessanterweise hat sie die Erfahrung gemacht, dass man sich noch mal mit der Länge der Videos beschäftigen müsse. Denn die Aufmerksamkeitspanne der 14- bis 29-Jährigen werde online immer geringer. Am meisten werden nach ihrer Analyse Videos im Netz mit einer maximalen Länge von zwei Minuten geguckt. Trotzdem ist Jung überzeugt, Video sei nicht nur nice to have, sondern in jedem Fall auch mehr, weil die junge Zielgruppe im Netz heute nicht allein mit Text und Bildern zufrieden ist: ohne Video und ohne einen multimedial möglichst breit gefächerten Inhalt gehe gar nichts mehr.

Ganz klar kann man aus einer Radiowelle nicht mal schnell Fernsehen machen. Konvergenz hin oder her. Es handelt sich um grundsätzlich verschiedene Medien. Und Fernsehen ist immer noch viel teurer, weil es viel schwieriger und langfristiger ist, echte glaubwürdige Bewegtbilder zu produzieren, ob als Dokumentation oder Fiction, als Wörter und Geschichten für das Ohr einzufangen. Ob es unbedingt nutzbringend ist, wenn von den jungen ARD-Radiowellen auch noch Videos ins Internet unter „Einslike“ gelangen? Schaden kann es nicht. Eine Konkurrenz zu YouTube wird es aber kaum sein. Und ob man mit einem unterm Strich mageren Budget von 45 Millionen Euro einen attraktiven öffentlich-rechtlichen Jugendsender speziell mit Hilfe von Radiowellen aufbauen kann, dürfte mehr als fraglich sein. Zumal obendrein die Interessen der angepeilten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen – von Pubertierenden bis zu denen, die schon Familien gegründet haben und voll im Beruf stecken – so inhomogen ist, dass dafür wohl kaum ein Gesamtprogramm mit einheitlicher Linie entstehen kann.

Aber gut: Irgendetwas müssen ARD/ZDF machen, um sich zu verjüngen. Der TV-Jugendkanal wird übrigens vor allem von den ARD-Rundfunkräten und einigen Politikern gefordert. Als Experimentierfläche wäre sicher das Internet besser geeignet als ein zusammengeschustertes lineares Fernsehprogramm. Aber auch dafür fehlt zurzeit – jenseits von medienpolitischen Hürden – noch die unbürokratische zündende Idee, wie man sich ohne anzubiedern dem Alltag und den Bedürfnissen der Jugendlichen öffnet. Vielleicht könnte man ja einfach wie früher mal wieder in den Hauptprogrammen von ARD/ZDF Sendeplatz für ein an Jugendliche gerichtetes Highlight-Programm schaffen?

Erika Butzek

(MB 1/14)

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