„Wir sind in einem fließenden Prozess“

Tom Fährmann, einer der renommiertesten Kameramänner in Deutschland, erklärt im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN, warum der 35mm-Film aktuell noch im Vergleich zu HD im Gesamtprozess der Werbefilmproduktion – von der Aufnahme bis zur Postproduktion – Vorteile hat, und unter welchen Bedingungen dennoch der Einsatz von HD-Kameras schon heute ästhetische Pluspunkte bringt.

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Sie sind als Kameramann nicht nur im Bereich Spielfilm etwa für Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ und Volker Schlöndorffs neuestem, in Kasachstan gedrehten Film „Ulzhan – Das vergessene Licht“ tätig, sondern bereits seit vielen Jahren auch in der Produktion von Werbespots aktiv. Wie beurteilen Sie aus der Sicht eines Kameramanns Ähnlichkeiten oder Verschiedenheiten dieser zwei Produktionswelten, gibt es eine gegenseitige Befruchtung?
Wenn es etwas an Neuerungen gibt – neue Looks, neue Techniken, neue Möglichkeiten -, dann sind die Werber in der Regel die ersten, die es in den Fingern haben. Deshalb ist man als Kameramann, der auch Werbung macht, immer am Puls der Zeit. Die Werbesprache ist allerdings eine ganz andere als die Spielfilmsprache. Bei Werbung muss man mit jedem Bild eine Rakete zünden. Mit so einer Bildsprache käme man beim Spielfilm keine 15 Minuten weit.

So ist zum Beispiel der Look, das spezielle Aussehen einer Werbung für 30 Sekunden höchst interessant, würde man ihn aber auf die Länge eines Spielfilms übertragen, würde er zwischen Film und Zuschauer eine merkwürdige Wand aufbauen: Man würde es dem Zuschauer unmöglich machen, wirklich tiefere Gefühle zu erleben. Man muss als Kameramann, der beides macht, auch wirklich zwei Seelen haben. Die eine, die weiß, wie man ein Bild so effektvoll wie möglich gestaltet, die andere, die sehr subtil mit den Inhalten umgehen kann und sich ihnen auch unterordnen will. Zwar will man manchmal auch in der Werbung etwas Spielfilm-artiges haben, nicht so überästhetisiert, hochstilisiert, nicht so „clean“ erscheinen. In der Regel ist es aber so, dass Spielfilm und Werbung zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Wenn man das bei sich selbst als Kameramann nicht klar kriegt, bekommt man Probleme.

Sie haben auch „Das Wunder von Bern“ gedreht, ein Projekt das häufig als Prototyp für High-Definition, HD, genannt wird…
Damit es ganz klar wird: Der Film „Das Wunder von Bern“ ist auf 35mm-Film gedreht und dann auf HD transportiert worden. In diesem Format wurde er bearbeitet und gegraded, einschließlich der Visual-Effects. Danach ist er aber wieder mit dem Arri-Laser auf Film ausbelichtet, analog kopiert und so in den Kinos gezeigt worden.

Doch beim Dreh von Werbespots haben Sie auch in Bezug auf die Aufnahme Erfahrungen mit HD gesammelt – nur mit der D20 von Arri oder auch mit Kameras aus der Videolinie von beispielsweise Sony oder Panasonic?
Ich habe bislang vorwiegend mit der D 20 von Arri auf HD gedreht, aber auch mit Sony HD-Kameras, zum Beispiel einen längeren BMW-Imagefilm und verschiedene Waschmittel-Spots. Dadurch, dass ich mit Arri an der Weiterentwicklung der D 20 arbeite, bin ich immer wieder an sehr intensiven Vergleichtests zwischen Film- und digitalen Kameras im Allgemeinen beteiligt und habe auch einen sehr genauen Einblick und weiß, wo welches System anfängt problematisch zu werden…

Wieso „problematisch“?
Man kann die Entwicklung hin zur Digitalisierung beim Film mit der in der Fotografie vergleichen, die ja ebenso für die Werbung sehr wichtig ist. Zwar hat sich die Fotografie in den letzten Jahren ganz deutlich in Richtung Digitalisierung entwickelt – auch mit teilweise katastrophalen Folgen für die Hersteller analoger Kameras. Tatsache ist aber auch, dass der Switch hin zur digitalen Fotografie oder auch zum digitalen Film im professionellen Bereich keinesfalls so deutlich ausgefallen ist wie im Amateurbereich. Zwar operieren auch die Kollegen, die für die Presse arbeiten, heute nahezu ausschließlich mit digitalen Kameras. Aber überall, wo sehr hohe Qualitätsanforderungen oder Maßstäbe wie hohe Vergrößerungen bestehen, wird immer noch eher ein Hybrid-Weg gefahren. Das heißt: Es wird auf dem analogen Negativ aufgenommen, eingescannt und digital weiterverarbeitet.

Die Vorteile der Digitalisierung im Bereich Werbespotproduktion liegen weniger bei der Aufnahme, sondern bei der Bearbeitung in der Postproduktion?
Genau. Das Digitale ist in Bezug auf die Aufnahme noch nicht ganz so weit wie das Analoge. Deshalb ist auch heute noch der Königsweg in der Produktion von Werbespots fürs Fernsehen, auf 35mm-Film zu drehen und dann in der Postproduktion davon ein Video anzufertigen. Im Moment befinden wir uns in einem ganz großen Umbruch. Früher oder später wird alles im Digitalen enden. Die Frage ist heute, unter welchen Bedingungen man wechseln soll.

Was muss Ihrer Meinung nach bei der HD-Aufnahme besser werden, um zu wechseln?
Es geht um drei Aspekte: Kontrastumfang, Farbtiefe und Zeitlupe. In Bezug auf die digitale Nachbearbeitung ist der Kontrastumfang von der dunkelsten bis zur hellsten Stelle im Bild einer der wesentlichen Unterschiede zwischen HD und 35mm-Film. Der Kontrastumfang wird von der digitalen Kamera noch nicht ausreichend bewältigt. Bei digitalen Kameras beträgt der Umfang etwa plusminus elf Blenden. Beim Filmmaterial ist er um etliche Blenden größer. Deshalb kommt man, wenn man das digitale Material bei der Aufnahme nicht ganz exakt belichtet, in große Schwierigkeiten in der Postproduktion, weil Teile der Bildinformation unwiederbringlich verloren gehen. Um es an einem Bild deutlich zu machen: Sie wollen ein Loch in der Straße mit einer Eisenplatte zudecken.

Die digitale Eisenplatte ist etwa genauso groß wie das Loch. Sie fällt sofort ins Loch, wenn man ein bisschen an ihr herum schiebt. Die analoge Eisenplatte ist viel größer als das Loch selbst: Sie deckt das Loch ab und verschließt es auch dann noch sicher, wenn sie verschoben wird. 35mm-Film digital nachbearbeitet bietet eine Elastizität, die heutzutage eine digitale Aufnahme einfach nicht bietet! Allerdings: Wenn man unter kontrollierbaren Bedingungen digital dreht, etwa im Studio und nicht draußen in der Landschaft, und wenn keine schwer einschätzbaren Effekte wie Feuer oder Explosionen vorhanden sind, dann kann man auch schon heute mit digitalen Kameras eine sehr ähnliche Qualität erzielen wie es mit 35mm erreichbar ist.

Mit dem 35mm-Film als Aufnahmematerial geht man in Bezug auf die digitale Postproduktion auf „Nummer Sicher“, bei HD weiß man nicht ganz genau, was mit dem Kontrastumfang in der Postproduktion passiert…?
Wenn man ein Format wechselt, sollte man hundertprozentig sicher sein. Wenn man ahnt, dass es schief gehen könnte, sollte man es besser lassen. Die Verantwortung, die man als Kameramann trägt, ist da einfach zu groß. Deshalb habe ich mit digitalen Kameras bislang nur unter kontrollierten Bedingungen gearbeitet und dann auch keine Schwierigkeit gehabt.

Bei der Werbung kommt hinzu, dass in der Regel viele Köche am Brei sind: drei Kunden, fünf Agenturmenschen, ein Regisseur, ein Produzent – zehn Leute mit verschiedensten Ideen und Vorstellungen. Und es ist oft ein Entstehungsprozess am Set oder auch danach, wie dieser Film wird. Selbst wenn man beim Dreh sehr genau beschreibt, was man haben will, kommt man dennoch in der Postproduktion manchmal an einen Punkt, wo es heißen kann, wir möchten es doch lieber anders haben, farblich oder wie auch immer. Das ist dann bei HD als Aufnahmematerial wesentlich schwieriger als bei 35mm-Film.

Also hat der Film als Ausgangsmaterial in der Postproduktion für Werbespots deshalb Vorteile gegenüber HD, weil man damit eine bessere Möglichkeit hat, das Drehergebnis noch relativ stark zu ändern, zumal es ja auch nur um 30 Sekunden geht?
Richtig: Es ist so, dass das belichtete 35mm-Material erst in der Post beim abtasten farblich korrigiert wird. Das kann man in einem sehr großen Umfang steuern und auch verschieden steuern: Ob es wärmer oder kühler wird oder ob man einen ganz spezifischen Look daraus machen will. Das alles lässt sich mit 35mm-Film erheblich einfacher realisieren.
Bei HD müsste man sich vorher etwas konkreter festlegen, was man machen möchte, da es schwierig ist, es hinterher zu ändern. Gerade in der Werbung passiert es aber relativ häufig, dass im Nachhinein noch neue Vorstellungen, spannendere Ideen entstehen, die vorher noch gar nicht da waren. Vor allem auch, wenn man optische Tricks machen will, was häufig in der Werbung vorkommt, lassen sich viele Dinge wie gewünschte Lichtverhältnisse im Vornhinein messtechnisch nicht erfassen. Beispiel: Ich lasse eine Kirsche ins Wasser fallen. Wie Spitz- und Führungslichter sich da verhalten, wie hell genau dieses Wasser ist, was da hochspritzt, kann man vorher nicht genau wissen. Man kann es vorher nicht messen. Es macht „plitsch“, und dann ist es schon vorbei. Und wenn man das digital aufnimmt, hat man das Problem, dass es unter Umständen zu hell war und alles weiß ist.

Oft 150 Bilder bei Werbespots
Was ist mit der Farbtiefe und Zeitlupe?
Nicht alle digitalen Kameras, obwohl es schon welche gibt, arbeiten mit einer hohen Farbtiefe. Die allermeisten haben eine Farbtiefe von acht Bit. Und diese acht Bit sind nicht ausreichend. Das Ergebnis ist deutlich anders, als wenn man mit 35mm mit 2K für die Postproduktion einscannt. Dann gibt es einen wesentlichen Punkt, der häufig sehr vernachlässigt wird. Man dreht in der Werbung gar nicht so oft mit 25 Bildern. Wenn jemand einen Gegenstand aus dem Bild nimmt, zum Beispiel wenn er Milch eingießt, Waschpulver fallen lässt, einen Löffel Eis hochnimmt, wann immer solche organischen Bewegungen möglichst harmonisch sein sollen, dreht man sie in Zeitlupe. Alles andere würde schrecklich aussehen, weil der Mensch einen Gegenstand gar nicht so sanft und vorsichtig aus dem Bild nehmen oder dahin tun kann, wie es im Werbespot wirkt. Die Zeitlupe ist aber bei vielen digitalen Kameras nur eingeschränkt möglich. Dazu müsste man eine spezielle digitale High-Speed-Kamera benutzen. Aber das führt wieder zu Extra-Kosten, wenn man erst mit einer Kamera normal 25 Bilder dreht, und dann eine zweite braucht, um mit 150 Bildern zu drehen. Darum wird in der Werbespotproduktion in der Regel mit der Filmkamera gedreht.

Unter welchen Bedingungen entscheiden Sie sich dennoch für den Dreh auf HD?
Voraussetzung für HD-Aufnahmen ist, dass ich die Lichtsituation komplett unter Kontrolle habe. Zum Beispiel im Studio. Oder wenn ich einen hyper-cleanen Eindruck erreichen will. Wenn es beispielsweise um viele technische Elemente geht wie bei einem Auto-Werbefilm, dann kann ich mir vorstellen, dass die digitale Aufnahme überzeugender rüberkommt als die analoge, weil man dann überhaupt kein Filmkorn hat, das in diesem Fall störend wäre. HD als Aufnahme kommt überall da in Frage, wo man technisch perfekte Oberflächen braucht, und man sagen kann‚ wenn es dahinten zu hell ausbrennt, dann drehe ich es mal hier im Studio wieder runter, wenn man diese Möglichkeit hat, und wenn man keine Zeitlupe braucht, und wenn man vor allem vorher sehr genau weiß, wie es hinterher aussehen soll, dann kann man digital drehen. Wenn man aber etwas Atmosphärisches braucht, oder man draußen in hoch kontrastigen Situationen dreht, dann wird das alles digital sehr schwierig.

Auf welche Kameras beziehen sich die von Ihnen genannten Erfahrungen – neue Modelle?
Zuletzt habe ich die allerneuste Sony-Kamera, die F23, getestet. Nach meiner Erfahrung gibt es im Augenblick nichts, das die genannten Probleme nicht hätte. Die HD-Kameras haben im Vergleich zu den analogen Kameras im Augenblick noch einen Nachteil sowohl was die höhere Slow-Motion angeht als auch was Kontrastumfang angeht – wohlgemerkt: im Augenblick. Denn es ist natürlich eine Geschichte, die total im Fluss ist. Dazu gehört auch: Wann kommt den endlich auch in Deutschland HD als Fernsehstandard?

Würde man denn in der Werbespotproduktion sagen, „weg mit den analogen Kameras!“, sobald HD auch TV-Ausstrahlungsstandard in Deutschland ist?
Ob auf SD oder HD ausgestrahlt wird, hat für das, was wir besprochen haben, keinerlei Bedeutung. Es trifft nicht zu, dass man sagen kann, wenn in HD ausgestrahlt wird, dann muss auch auf HD aufgenommen werden. Da könnte man heute ja auch sagen, da das normale Fernsehen in einer Digi-Beta-Qualität ausstrahlt wird, reicht es, dass wir die Werbung auf Digi-Beta drehen. Es hat umfangreiche Versuche gegeben. Procter & Gamble und andere Großkonzerne hatten schon einmal vor etlichen Jahren die Losung ausgegeben, „wir drehen die Werbung nur noch digital“. Davon ist nichts übrig geblieben.

Wobei allerdings der Kameramann heute viel stärker als früher die digitale Postproduktion im Blick haben muss…?
Das ist absolut so.

Also würden Sie den Herstellern von HD-Kameras vermutlich empfehlen, immer auch den Prozess der digitalen Postproduktion im Auge zu behalten, so wie es Arri ja auch mit seinem Digital-Intermediate-Service im Filmbereich tut?
Wichtig ist, dass in Zukunft der Kontrastumfang und die Farbtiefe der HD-Kameras höher werden müssen. Heute gibt es aber noch keine Chips, die es können. Es gibt auch noch keine Chips, die so ausgelesen werden können, dass daraus eine anständige Zeitlupe gemacht werden könnte. Und wenn man eine höhere Farbtiefe haben will, entstehen mehr Daten, die gespeichert werden müssen.

Also muss man sich nicht nur überlegen, wie kriege ich das vorne an der Kamera hin, dass die mehr Daten verarbeiten kann, sondern man muss auch überlegen, wohin mit den vielen Daten bei der großen Geschwindigkeit. Das alles sind Themen, die im Moment noch nicht ausreichend bewältig worden sind. Niemals würde ich aber sagen, „auf keinen Fall digital“. Wir sind in einem fließenden Prozess, wo man im Augenblick keine allgemeine Aussage machen kann. Man muss sich jedes Projekt sehr genau angucken und überlegen, welche Untiefen technischer oder ästhetischer Natur sich auftun können, und mit welchem Tool ich es am besten machen kann. Es gibt Sachen, die würde ich sofort digital machen, bei anderen würde ich mich hüten.

Gerade Ihr letzter Kinofilm fällt durch eine wunderbare Bildsprache auf…
Das war eine spannende Geschichte! Meinen letzten Film „Ulzhan – Das vergessene Licht“ von Volker Schlöndorff habe ich analog gedreht und digital in 2 K bei Arri gepostet. Das war ein wunderbarer Weg, den Film so zu beeinflussen, genauso, wie ich es wollte. Wenn ich in Kasachstan unter den abenteuerlichen Dreh-Bedingungen, die wir hatten, digital gedreht hätte, wäre ich total verloren gewesen: Sandsturm in der Wüste, Schneesturm auf dreieinhalbtausend Meter Höhe – da ist uns jedes elektronische Teil ausgefallen. Das einzige, was gelaufen ist, war die 35mm-Kamera. Das ist aber eine Situation, die in der Werbung selten eine Rolle spielt, weil man sich da nicht so häufig so extremen Situationen aussetzt.
Erika Butzek
(MB 02/08)

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