Innovation und neue Geschäftsmodelle

Über drei Jahre lang waren 70 Mitarbeiter der Gebrueder Beetz Film Produktion im Auftrag des Senders arte in ganz Europa unterwegs, um ein Mammutprojekt zu verwirklichen: die 20 teilige Reihe „Im Bann der Jahreszeiten“. Hohen Einsatz an Personal und Technik leistet das Unternehmen auch bei anderen spannenden Produktionen wie die Miniserie „Die Frauen der Wikinger“.

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„Eine Serie über die Jahreszeiten? Das hört sich vielleicht erstmal nicht so spektakulär an, aber es ist so erstaunlich zu sehen, wie sehr wir trotz technischen Fortschritts immer noch von den Jahreszeiten abhängen, unser Leben von ihnen bestimmt wird.“ So beschreibt Produzentin Ira Beetz den Reiz des Projekts, in dem über 100 Protagonisten mitwirken. Auch technisch, so die Macher weiter, sei die Produktion anspruchsvoll umgesetzt worden: Während der 360 Drehtage, an Orten 20 Meter unter der Meeresoberfläche bis hin zu rund drei Kilometer hohen Gipfeln, wurden unter anderem neueste Zeitrafferkameras und Videodrohnen eingesetzt.

„Wir zeigen nicht nur die Phänomene, sondern begleiten die Menschen, wie sie versuchen den Jahreszeiten zu trotzen beziehungsweise mit ihnen zu leben“, erklärt die Produzentin weiter. „Wirklich neu ist, dass die Reihe den Menschen als Teil der Natur in den Mittelpunkt stellt“, ergänzt der zuständige Redakteur beim MDR Ulrich Brochhagen.

Das Gemeinschaftsprojekt der Sender MDR, SWR, NDR und Arte ist im März auf arte an den Start gegangen. Die Reihe wird zudem später auf den dritten Programmen und als Vierteiler bei der ARD ausgestrahlt.

„Im Bann der Jahreszeiten“ ist eines der aktuellen Beispiele dafür, wie die von Christian und Reinhardt Beetz gegründete Firma Gebrueder Beetz Film Produktion versucht, mit Innovationen und neuen Geschäftsideen ungewohnte Wege zu beschreiten.

Auch für die „Die Frauen der Wikinger“ war das Team um Reinhardt und Ira Beetz zwei Jahre lang in Deutschland, Großbritannien, Skandinavien, USA und Russland an insgesamt 55 Drehtagen unterwegs.

Die Welt der Wikinger wird lebendig

Um junge Zuschauer zu erreichen, hat ein Team aus Crossmedia-Producern, Game-und APP-Entwicklern sowie Museums-pädagogen gemeinsam mit den norwegischen Koproduzenten und dem NDR und NDR/ARTE Ideen und Storylines für eine mögliche crossmediale Begleitung entwickelt. Das Resultat: Neben der Miniserie „Die Frauen der Wikinger“ entstand ein „Online Learning Game“ und eine App.

„Eine große Herausforderung war es, die Welt und die Kultur der Wikinger authentisch und auf dem aktuellen Stand der Forschung zum Leben zu erwecken“, erklärt Reinhardt Beetz die grundsätzliche Besonderheit die Produktion, „im Gegensatz zu einem Spielfilm haben wir hier besonderen Wert darauf gelegt, Details in Muster und Kleidung, Ausstattung und bei den Wohnhäusern historisch korrekt abzubilden.“

Für die aufwändige Produktion standen an den szenischen Drehorten in Schweden und Dänemark einige dutzend Komparsen und international renommierte Schauspieler, unter ihnen dänische, schwedische und deutsche Stars wie Esther Schweins, Leonie Benesch, Valter Skarsgård, Reiner Schöne, Fredrik Dolk und Torsten Münchow vor der Kamera. Der internationale Cast und die vier Sprachen am Set, Deutsch, Englisch, Dänisch und Schwedisch, machte es notwendig, sämtliche Dialogszenen im Studio zu synchronisieren. Neben dem erläuternden Kommentar und dem inneren Monolog der Hauptfiguren, historisch abgeleitet aus den isländischen Sagas, sollen Dialoge in den zentralen Szenen die Handlung dramatisieren. Um die Geschichte anschaulich zu erzählen, waren auch umfangreiche CGI Szenenbauten notwendig. Beetz: „Die Herausforderung bestand darin, dem Zuschauer einen authentischen Eindruck der einstigen Brennpunkte der Weltgeschichte visuell zu vermitteln.“ Grundlagen der kostspieligen und nach wissenschaftlichen Maßstäben angefertigten 3D-Animationen, Crowd Replications und Set Extensions waren aktuelle, archäologische Ausgrabungen, sowie Arial-Landscape-Scans in Deutschland, Skandinavien und England. Abschließend wurde mit dem Matte-Painting-Verfahren das gedrehte Red Epic 4k Videomaterial ergänzt.

„Bei diesem Verfahren werden fotorealistische Ansichten digital erstellt und in den Hintergrund eingesetzt“, berichtet der Produzent, „so konnte unter anderem der rege norddeutsche Wikinger-Handelsplatz Haithabu und der große Kultplatz Thingvellir auf Island für die Zuschauer realistisch nachempfunden werden.“ Für die Inszenierung der zahlreichen Wikinger-Seereisen kamen mit Unterstützung des international exponierten Museums für Wikinger-Schiffe im dänischen Roskilde insgesamt sechs verschiedene Wikingerschiffe zum Einsatz.

Junge Zielgruppen erreichen

Schon immer haben die Produzenten mit Sitz in Hamburg, Berlin und Köln auch die junge Zielgruppe erreichen wollen. Dafür steht vor allem das Format „Kulturakte“. Stoffe der Hochkultur werden im Stil „moderner Crime Scene-Serien“ für ein junges Publikum „zeitgemäß“ inszeniert. Bei „Wagnerwahn“ etwa kamen neben Spielszenen auch Graphic-Novel-Elemente zum Einsatz. Die Schauspieler Samuel Finzi und Pegah Ferydoni waren in den Rollen des Künstlers und seiner Frau zu sehen.

Zusätzlich zum TV-Format gab es eine Graphic Novel und eine „Wagner-App“. Es war das erste Mal, dass zu einem Dokudrama überhaupt eine App angeboten wurde. „Sie ist praktisch ein interaktives Buch, mit der wir die Grenzen des Erzählens sprengen und Wagner ganz neu erfahrbar machen – durch die Verschmelzung mit beispielsweise Animationen, Filmsequenzen, Fotografien sowie historischen Briefen und Partituren», beschreibt Produzent Christian Beetz die Entwicklung seiner Cross Media Abteilung. Auf 41 Seiten mit 240 einzelnen animierten Bildern im Stil einer Graphic Novel wurde das Leben des Komponisten wieder lebendig. Die Nutzer, so Beetz, haben dabei die Möglichkeit, der Biografie des Künstlers lesend oder hörend zu folgen. Ein besonderes Highlight der App sei die „Musikmaschine“ des amerikanischen Komponisten und Programmierers Stephen Malinowski, in der er die Ouvertüre des „Fliegenden Holländers“ notengenau in Kreise, Quadrate und Punkte übersetzt. Im ähnlichen Stil wurden so die Biografien von Pier Paolo Pasolini, Heinrich von Kleist, Ludwig van Beethoven und Zara Leander inszeniert. Besonders stolz sind die Brüder Beetz auf ihre sechsteilige Serie „Lebt wohl Genossen“, die mit dem Grimme Preis ausgezeichnet wurde. In über 20 Ländern ist die Reihe über den Untergang der Sowjetunion bereits ausgestrahlt worden. Das dazugehörige interaktive Webformat „Farwell Comrades! Interactive.“, in dem Geschichte mit 30 originalen Postkarten erzählt wird, gilt mittlerweile als Referenzprojekt für Geschichtsvermittlung in den Neuen Medien.

Während das Unternehmen sich früher stets als klassische Filmproduktionsfirma verstanden hat, die Inhalte immer linear erzählte und von der Story ausging, sieht es sich heute als „Inhalteproduzent“. „Wir müssen das Publikum erreichen“, schildert Christian Beetz den Paradigmenwechsel, „je nach Medium habe ich unterschiedliche Publica.“ Der Produzent betont: „Ob ich das TV benutze oder das Internet, oder ein Game, oder ob ich ein Buch schreibe. Je nach Publica muss ich den Inhalt anders erzählen.“

Dokumentationen der Gebrueder Beetz Filmproduktion laufen regelmäßig im Wettbewerb großer internationaler Film-Festivals und haben vielfach renommierte Auszeichnungen erhalten. Dazu zählen unter anderem: dreifacher Grimme-Preis und Nominierungen für den „Oscar“ sowie den International Emmy.

Winfried Urbe

MB 3/2015

© Falco Seliger

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