Mehr Freiheit für die Kreativen

Die Nu Boyana Studios in Bulgariens Hauptstadt Sofia gehören zu den Filmstudios, die man nicht sofort auf dem Schirm hat. Dabei sind hier seit 2001 über 300 meist Action-Filme für den internationalen Markt entstanden. Doch erst seit drei Jahren positionieren sich die Studios aktiv als Dienstleister für Dritt-Produzenten. Sie werben mit modernster Digital-Technik bei Produktion und PostProduktion, einer State-of-the-art VFX-Abteilung und niedrigen Produktionskosten.

17
Mehr Freiheit für die Kreativen

„Das Studiogeschäft in Europa ist sehr hart und wettbewerbsintensiv“, sagt Yariv Lerner, CEO von Nu Boyana und Sohn des Nu Image-Gründers und Produzenten Avi Lerner. Das heißt aber nicht, dass in diesem Geschäft alles über den Preis geregelt werden kann – obwohl es natürlich immens hilft. Mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar ausschlaggebend, sind die Locations, internationale Produktionsstandards und ein Umfeld, das für die Teile von Crew und Cast attraktiv ist, die von außen eingeflogen werden. Dies können Nu Boyana und Bulgarien genauso bieten wie die 2001 gegründete Visual Effects-Firma Worldwide FX, die auf internationalem Niveau arbeitet und neben ihrem Hauptsitz auf dem Studiogelände Filialen in London und Louisiana hat. Worldwide FX hat bislang für rund 130 internationale Produktionen die VFX gemacht. Darunter für die in Bulgarien entstandene „Expendables“-Filmreihe von und mit Sylvester Stallone wie auch für den Actionstreifen „Olympus has fallen“ und dessen Nachfolger „London has fallen“, der ein VFX-Budget von fünf bis sieben Millionen Euro hat. Für „London has fallen“ wurde unter anderem eine proprietäre Lösung für den Platz um die St. Pauls-Kathedrale entwickelt. Gebaut waren nur das Portal, die Stufen und die Statue davor. Der Rest wurde als 360-Grad-Bubble generiert, um der Kamera eine maximale Bewegungsfreiheit im dreidimensionalen Raum zu verschaffen. Das Raster des Digital Matte Painting wurde mit der Kamerabewegung synchronisiert und der jeweils sichtbare Teil fotorealistisch gerendert.

Auf dem 30 Hektar großen Studio-Gelände, hinter dem sich ein bewaldeter Bergrücken erstreckt, der sich als Hintergrund eignet, stehen aktuell 18 Sets. Darunter mehrere für „The Legend of Hercules“ von Renny Harlin, das Portal der St. Pauls-Kathedrale sowie weitere Sets für „London has fallen“, ein New York City-Set, ein großer Platz mit Statuen und Säulen aus dem antiken Rom sowie ein Straßenzug mit Platzsituation, der irgendwo in der arabischen Welt liegt. Die Sets bleiben grundsätzlich stehen und können für weitere Produktionen genutzt beziehungsweise angepasst werden.

Darüber hinaus bietet Bulgarien Locations in den Bergen und am Meer, Industriebrachen, Wälder, Ebenen, Flüsse, Dörfer und Städte.

Kurze Geschichte der Studios

Erste Planungen für die Studios in Bojana, einem Stadtteil auf einem Hügel außerhalb von Sofia, begannen 1951. Die Studios wurden gemeinsam mit den sozialistischen Freunden aus der Sowjetunion entwickelt, weshalb es bauliche Ähnlichkeiten mit den Mosfilm-Studios in Moskau aufweist. Nach Jahren der Planung und Umsetzung wurde der Studiokomplex schließlich 1963 eröffnet. Mitte der 90er Jahre wurden die Studios in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die zunächst komplett in Staatsbesitz verblieb. 2001 begann die 1996 von Avi Lerner gegründete Millennium Films hier erste Actionfilme zu drehen. Millennium Films ist eine Tochter der 1992 gegründeten Nu Image. Während Nu Image qualitativ hochwertige Low-Budget-Action-Filme für den internationalen und US-Home-Entertainment-Markt produziert, zielt Millennium Films auf hochwertige Filme und höher budgetierte Actionfilme für das Kino. 2006 übernahm Lerner die Bojana Studios und benannte sie im Jahr darauf um. In ihren ersten Jahren in Bulgarien produzierten Nu Image/Millennium Films etwa fünf bis zehn Filme im Jahr. Seitdem hat das Studio eine große Menge an Expertise angesammelt, das es jetzt international vermarktet. „Einen Experten zeichnen 10.000 Stunden an Praxis aus“, sagt Yariv Lerner. „Und mit der großen Anzahl von Filmen, die wir hier bislang realisiert haben, haben wir ein großes Know-how aufbauen können.“

Größtes Studio in Osteuropa

Nu Boyana ist das größte Filmstudio in Osteuropa. Es versteht sich selbst als One-Stop-Shop für Produktionen von der Drehbuchentwicklung über das fertige Master bis zum Vertrieb für Filme, Dokumentationen, Fernsehproduktionen, Werbung und Musik-Videos. In den vergangenen fünf Jahren wurden hier über 45 Produktionen aus Italien, den USA, Norwegen, Russland, Israel, Großbritannien, der Türkei, Japan, der Tschechischen Republik und Frankreich umgesetzt. Selbst der Bollywood-Star Shah Rukh Khan hatte hier unlängst gedreht. In den vergangenen acht Jahren wurden über 60 Millionen Euro in die dreizehn Ateliers, davon zehn Neubauten, die Sets und die technische Ausrüstung der Studios investiert, die durch fortlaufende Investitionen immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Neben den Ateliers gibt es circa 350 Produktionsbüros.

Lerner und Nu Boyana haben ein Credo: den Kunden in jeder Beziehung darin zu unterstützen ein möglichst gutes Produkt herzustellen. „Dabei geht es darum der Produktion das zu liefern, was sie tatsächlich braucht“, betont Lerner. „Um das zu erkennen, braucht man Erfahrung; Erfahrung, die wir haben und die wir erst vor kurzem wieder bei der Problemlösung für die französische Produktion ‚Section Zero’ einsetzen konnten.“

Ausstattung der Studios

Boyana Studios setzt auf und lebt von dem digitalen Wandel in der Filmproduktion. „Die Kreativen verlassen Hollywood. Es waren die Filmlabore, die sie dort gehalten haben. Aber da nun alles digital ist, gibt es kein Grund mehr, sich an einen Ort zu binden“, sagt Lerner. „Durch die Digitalisierung wurde die Eintrittsbarriere für Film eliminiert. Jetzt kann man selbst mit einem iPhone einen großartigen Film machen. Heute geht es mehr als je zuvor um die Geschichten und da die Digitalisierung die Entscheidungen weg von den Institutionen hin in die Hände der Kreativen gelegt hat, haben diese nun sehr viel mehr Freiheiten, als zuvor.“ Und diese Kreativen umwirbt Nu Boyana indem sie ihnen immer das aktuellste digitale Spielzeug zur Verfügung stellt – und wenn es doch Analogfilm sein soll (wie etwa bei „Expendables II“), so wird auch der und das dazugehörige Equipment, etwa für den Digital Intermediate-Prozess, beschafft. Neben der Produktion vor Ort liegt ein weiterer Schwerpunkt eindeutig bei den Visual Effects. Bei dem Studiobesuch Mitte des Jahres lag die Auslastung der Postproduktion bei lediglich 15 Prozent, was daran liegt, dass die Post mittlerweile überall gemacht werden kann. Die Studioauslastung lag bei 65 Prozent. Da aber noch zwölf weitere Produktionen für das zweite Halbjahr ausstanden, kann für das laufende Jahr mit einer Auslastung von circa 90 Prozent gerechnet werden. Bei den Visual Effects gibt es hingegen eine Auslastung von rund 110 Prozent. „Wir haben parallel ständig zwei/drei VFX-intensive Produktionen vor Ort“, erklärt Lerner. „Einen Teil der Shots müssen wir deshalb nach London auslagern, wo wir elf Partner-Studios haben.“

Modernste Technik

Noch ist Worldwide FX, die nicht nur für Nu Image/Millennium Films-Produktionen arbeiten, in dem historischen Studiogebäude untergebracht. Doch die Räume sind längst zu klein für die wachsende Firma. Im kommenden Jahr wird sie deshalb in das alte Gebäude des Kodak-Labors umziehen, das als sichtbares Zeichen des digitalen Wandels seit einiger Zeit leer steht. In die dann frei gewordenen Räumlichkeiten kommen weitere Schneideräume. Um den Austausch der digitalen Daten zu beschleunigen wird Nu Boyana eine Cloud basierte Lösung einrichten. Den dafür erforderlichen schnellen Internetanschluss aus den Studios heraus gibt es bereits.

Um mehr Postproduktionstätigkeit in die Studios zu holen, wird die modernste Technik eingebaut. Um mit der Technik in den USA kompatibel zu sein, sind die Schnittplätze Mac-basiert. Das Studio verfügt über drei Studios für den Tonschnitt sowie ein ADR/Foley-Aufnahmestudio, die alle mit ProTools 11 HD Native laufen und mit Dynaudio Professional Monitoren ausgestattet sind. Der historische Kinosaal wurde in eine zertifizierte Dolby Atmos-Mischung und Sichtungskino mit 48 Sitzplätzen umgewandelt. Sie ist mit einem Christie 4230 6kW 4k-Projektor ausgestattet, drei auf HDX3 ProTools 12.1 MacPro basierten Schnittsystemen, die auf dem Herzstück, einem Avid S6 mit 48 Fadern, laufen sowie JBL-Lautsprechern und Crown Amplifiern. Die Studios setzen auf den Avid-Workflow weshalb der S6 demnächst erweitert wird damit die Musik-, Sounddesign- und Ton-Mischer zusammen an einer Konsole arbeiten können. Eine weitere Mischung ist mit Dolby Digital 5.1 ausgestattet. Zusätzlich ist ein Aufnahmestudio in Planung. Der erste in den Nu Boyana-Studios gemischte Atmos-Film wird voraussichtlich „Hitman: Resurrection“ sein, der auch auf dem Gelände gedreht wird.

Nachdem die Digitalisierung auf der Bildseite angekommen ist, setzt Lerner alles daran, dieses Niveau auch auf der Tonseite zu erreichen: „Wir arbeiten beim Ton mit internationalen Experten zusammen, um den Anschluss herzustellen“, so Lerner.

Günstige Kosten

Von anderen Studios setzt sich Nu Boyana auch dadurch ab, dass es bei der Technik und der Ausstattung individuell abgestimmte Paketdeals gibt. Lerner ist da sehr bestimmt: „Bei den Studios, bei denen einzelne Firmen ihre Produkte vermieten, geht es immer darum, dass jede Firma so viel der eigenen Produkte an den Mann bringen will wie möglich. Bei uns sind wir aber der einzige Ansprechpartner. Wir verkaufen also keine Dienstleister, sondern besorgen die Technik, die am besten auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmt ist.“

Als Servicefirma fungieren quasi die Unit Production Manager des Studios, die bereits seit 14 Jahren an Bord sind. Sie lesen die Drehbücher, kümmern sich auf deren Basis um die Details und sprechen dann alles mit dem Auftraggeber durch, um so die optimalsten Bedingungen für die Produktion zu finden. „Allerdings beläuft sich das Umsatz-Minimum auf 50.000 Dollar“, schränkt Lerner ein. Schließlich hat das Studio Fixkosten zu begleichen. Immerhin beschäftigt es 147 Festangestellte. Weitere 240 Mitarbeiter sind es bei Worldwide FX. Je nach Auftragslage werden projektbezogen weitere Mitarbeiter eingestellt. Bei „Expendables III“ waren so oder so letztendlich 2.500 Menschen allein aus Bulgarien beschäftigt. Im Schnitt sind es allerdings nur 300 bis 400 Stabmitglieder und mehr als 100 Statisten.

Abgesehen von den rückerstattbaren 20 Prozent Umsatzsteuer verfügt Bulgarien über keine Steuervergünstigungen für Filmproduktionen. Aber die Honorare in Bulgarien sind so niedrig, rechnet Lerner vor, dass Steuervergünstigungen ohnehin keinen Effekt hätten. In London, wo ein Drehtag circa 150.000 Pfund kostet, bekommt man einen Tax Incentive von 20 Prozent. Allerdings beläuft sich das Honorar für eine Mini-Rolle ohne Dialog auf 500 Pfund pro Tag (1£ sind ca. 1,41€) in London, in Bulgarien von vorne herein auf lediglich 85 Leva (30 Pfund). Der Tax Incentive lohnt sich laut Lerner also nur bei hochbezahlten Schauspielern, die um die zehn Millionen Pfund bekommen. Die Kosten in Bulgarien liegen, umgelegt auf eine Produktion, mehr als 30 Prozent niedriger, als in Mittel-Europa und noch niedriger verglichen zu West-Europa und Nordamerika. Die Einkommens- und Unternehmenssteuer liegt bei zehn Prozent.

Auswirkungen für Bulgarien

Für Bulgarien ist die Filmproduktion in Nu Boyana eine bedeutende Einnahmequelle. 20 Prozent der in Bulgarien ausgegebenen Produktionskosten fließen als Steuern direkt in den Staatshaushalt. Die bulgarische Wirtschaft selbst profitiert durch ausländische Filmproduktionen insofern, als dass durch diese Produktionen über einen Zeitraum von zwei Monaten mindestens 2,5 bis 3 Millionen Euro in Dienstleistungen bulgarischer Anbieter fließen.

Darüber hinaus unterstützt Nu Boyana aktiv die bulgarische Filmszene und hat dafür unter anderem die Nu Boyana Film School gegründet. Auch Worldwide FX bildet aus und mit der Unterstützung von Avid wurde ein Trainings Center für den Ton- und Bildschnitt eingerichtet. Im VFX-Bereich gibt es nicht genügend Leute aus Bulgarien selbst, erzählt Jordan Markov, Operation Manager bei Worldwide FX. Um dies auszugleichen, kommen Freelancer aus der ganzen Welt nach Sofia, zur Zeit vor allem aus Spanien. Um mehr Bulgaren als VFX-Artists ausbilden zu können, hält Worldwide FX ein spezielles Angebot bereit, um die teure Ausbildung zu finanzieren. „Im Gegenzug gegen eine vergünstigte Ausbildung verpflichten sich die Studenten an zwei, drei Filmen mitzuarbeiten“, sagt Markov. „Da weiß jeder von Anfang an, worauf man sich einzustellen hat.“

Die heimische Filmproduktion, die Förderung erhält, unterstützt Nu Boyana mit Rabatten und praktischer Hilfestellung. „Wir versuchen ihnen dabei zu helfen, Filme für ein Publikum zu machen“, ist Yariv Lerner, der staatlich subventioniertem Arthouse-Kino skeptisch gegenüber steht, ganz pragmatisch.

Von der Überbelegung in Pinewood spürt Nu Boyana im Filmbereich keinen Effekt. „Die Überfüllung von Pinewood schlägt sich bei uns bei den Spielfilmen nicht nieder, da die Planungen in diesem Bereich langfristig sind“, so Yariv Lerner. „Wir bemerken es eher bei der Werbung, die kurzfristig Studiokapazitäten für vier, fünf Tage suchen.“

Der Reiz in Bulgarien zu arbeiten

Egal wie erfahren und gut die Techniker vor Ort sind, internationale Produktionen kommen nie nur mit heimischem Personal aus. Neben ausländischen Mitarbeitern, die Lücken ausfüllen, werden Schlüsselpositionen in der Regel mit eigenen Leuten besetzt. Doch ob die für mehrere Wochen oder gar Monate nach Bulgarien kommen, hängt ganz entscheidend von der Attraktivität des Landes ab – und die ist hoch. „Wir haben einen hohen Standard hier, gerade junge Leute kommen gerne hierher, nicht zuletzt, weil die Lebenshaltungskosten hier sehr günstig sind“, sagt Jordan Markov. Todd E. Miller, der zur Zeit des Studiobesuchs vor Ort parallel zum Dreh „Mechanic: Resurrection“ schnitt, ist vom Angebot Bulgariens restlos überzeugt. Er ist für zweieinhalb Monate im Land, hat seine Familie dabei und nutzt die Zeit für Ausflüge in die Berge und ans Meer.

Thomas Steiger

MB 6/2015

Anzeige