Ein wahres Drama

Die Serie „14 – Tagebücher des ersten Weltkriegs“, die ab dem 29. April auf Arte mit acht Folgen (8 x 52 Min.) und auf Das Erste am 27. und 28. Mai als Vierteiler (4 x 52 Min.) ausgestrahlt wird, ist in mehreren Dimensionen ambitioniert und besonders.

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Ein wahres Drama

Produktionslogistisch gelang es dem Chef von Looks und Produzent Gunnar Dedio mehr als 20 Nationen mit an Bord zu holen (siehe Kasten), wie Frank Beckmann, Programmdirektor NDR, bei einer Preview in Berlin lobte. Auf diese Weise sind auch die Produktionskosten in Höhe von sechs Millionen Euro zusammen geflossen. In extrem aufwändigen Prozessen wurden Fotos und bislang unbekanntes Filmmaterial aus 71 Archiven digitalisiert. Last but not least war es Projekt-Anspruch, die nachgestellten Spielszenen konsequent an authentischen Berichten von 14 Protagonisten wieder zu geben, um „wahre Geschichten“ über Menschen und ihre Schicksale im ersten Weltkrieg zu erzählen, anstatt – wie häufig bei Doku-Dramas üblich –, spekulative fiktionale Szenen als emotionales Unterhaltungsmittel unterzumischen. Die Dramaserie „14“ besteht je zur Hälfte aus Spielszenen und Archivmaterial.

Fakten des Ersten Weltkriegs, dessen Beginn sich in diesem Jahr zum hundersten Mal jährt, sind: Er wurde nach dem Attentat von Sarajevo am 4. August 1914 ausgelöst und entwickelte sich zu einem vierjährigen Flächenbrand, an dem Deutschland, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und Bulgarien, Frankreich, Großbritannien und sein damaliges Weltreich, Russland, Serbien, Belgien, Italien, Rumänien, Japan und die USA mit rund 70 Millionen bewaffneten Männern beteiligt waren. Wie man weiß, sind viele von ihnen, zumal die ganz jungen, zunächst mit einem naiv-euphorischen „Hurra“ in den Krieg gezogen. Das politische Ziel eines europäischen Verbunds war damals nicht einmal angedacht, vielmehr herrschten nur Feindseligkeiten unter den Nationen und ihren Menschen. Der Erste Weltkrieg war der erste industriell geführte Massenkrieg in der Geschichte der Menschheit. Es wurden 17 Millionen Menschen getötet. Die Fakten, die Hintergründe und die weitere Entwicklung bis hin zum Zweiten Weltkrieg wurden in vielen Büchern von vielen Historikern beleuchtet, in der Regel aus strategischer Sicht, aufgrund von Aussagen der Generäle und Staatenlenker.

Multiperspektive

Ganz anders die Idee von Gunnar Dedio, die er schon vor fünf Jahren hatte. Er wollte den Krieg nicht chronologisch dokumentieren, sondern „konsequent ein Drama“ erzählen, in dessen Mittelpunkt das Schicksal einzelner Menschen steht sowie ihre Wahrnehmung der Lebenslage zu Beginn und im weiteren Verlauf. Wichtiger noch: Er wollte wahre Geschichten „multiperspektivisch“ oder „transnational“ erzählen. Das heißt: Die Protagonisten sollten aus unterschiedlichen Nationen stammen und gerade auch aus dieser Perspektive heraus, ihre Sichtweise auf den Lauf des Erlebten schildern. Wie Dedio erläutert: Er selber sei „Deutscher, sogar Ostdeutscher“. Um multiperspektivisch, mit verschiedenen Sichtweisen von außen vorgehen zu können, habe er also internationale Partner mit einer eigenen Außensicht gebraucht. Über gute Kontakte verfügt seine Firma Looks ohnehin, da sie seit ihrer Gründung 1995 auch im internationalen Vertrieb tätig ist. So war es offensichtlich relativ unkompliziert, internationale Partner zu finden, die sich finanziell mit am Projekt beteiligen wollten. Um aber auch die „Multiperspektive“ durchzusetzen, brauchte Dedio mehr Überzeugungskraft, wie er am Beispiel BBC berichtet. „Super, wir machen das“, hatten die BBC-Verantwortlichen bei einem „Pitch“ sofort gesagt, allerdings mit der Intention, dass man sich in der eigenen Version dann nur auf die englischen Protagonisten kapriziere und den Rest rausschneiden werde. Man habe dann die BBC doch noch „Stück für Stück“ überzeugen können, dass es „um etwa Größeres geht“, berichtet Dedio. Nun werde BBC 2 die Dramaserie prominent in der Primetime zeigen, und er habe sogar das Lob erhalten: „The greatest Script the BBC ever received“.

Bevor der 50-tägige Dreh für die Spielszenen in Frankreich, Kanada und Deutschland – übrigens in den Originalsprachen der Protagonisten und Darsteller – begann, stand erst einmal langwierige Recherche. Zuallererst wurde von Looks ein internationales Team von Rechercheuren und Autoren zusammengestellt, das in mehrjähriger Arbeit mehr als 1.000 Tagebücher und Briefsammlungen von potentiell in Frage kommenden Protagonisten sichtete, um daraus 14 besonders bewegende Schicksale des Ersten Weltkriegs auszuwählen. Schlussendlich wurden vier Schicksale aus Frankreich, jeweils drei aus Großbritannien und Deutschland und jeweils eins aus Italien, Australien, Österreich und Russland ausgesiebt. Wobei etliche Protagonisten zu Kriegsbeginn noch Kinder waren, was die Spielszenen in der Serie von Anfang an emotional spannungsvoll auflädt. Prominent als deutsches Schicksal ist die Künstlerin Käthe Kollwitz dabei, die akribisch in ihren Tagebüchern auch darüber berichtete, wie hart es sie trifft, dass beide Söhne in den Krieg ziehen wollen – und wie das Ergebnis ihre Haltung im Leben bestimmen wird. Für Russland beispielsweise wurde Marina Yurlova ausgesucht, die in der ersten Folge bei Arte noch durch ein wunderschönes Sonnenblumenfeld auf der Suche nach ihrem Vater läuft, während die Kriegsglocken schon läuten. Sie wird ihm in den Krieg folgen, um Kindersoldatin in einer Einheit berittener Kosaken zu werden.

Aufwändige Digitalisierung

Parallel zur Tagebuch-Recherche begann ebenso die Sichtung von Archivmaterial in 21 Ländern, die zusammen mit der Digitalisierung und Restaurierung vier Jahre beanspruchte. Etwa ein Zehntel des historischen Filmmaterials war tatsächlich mit den damals sehr schweren Kameras an der Kriegsfront gedreht worden. Das meiste aufgefundene Filmmaterial zeigt die Zerstörung nach den Schlachten, Truppenübungen oder zivile Themen mit Bezug zum Krieg wie etwa Frauen in der Kriegsproduktion. Vom gesamten Archivmaterial flossen nach der Bearbeitung 200 Stunden Filmmaterial, Hunderte Postkarten und Zeichnungen sowie Tausende Fotos für die Montage in der Postproduktion (Schnitt auf Avid, Graphiken in After Effects) ein.

Nach dem Auswahlprozess, so Dedio, wurde das gesamte Archivmaterial neu gescannt in 2k und 4k. Weil es sich beim Ausgangsmaterial in der Regel um Nitro-Film handelt, sei dies „extrem aufwändig“ gewesen. Zudem musste dann noch ein 16:9 Ausschnitt aus dem ursprünglichen Format ausgewählt werden, bevor das Ergebnis restauriert wurde, weil es Kratzer, Flecken, Risse hatte, zu hell oder zu dunkel war. Und weil die Filme damals mehr oder weniger nur zu Propagandazwecken entstanden waren, mussten Historiker oder auch Uniformspezialisten in allen Ländern mit hinzugezogen werden, um das Material in seiner Authentizität bewerten zu können. Speziell für die Digitalisierung und Restaurierung habe Looks eine eigene Abteilung über die Jahre aufgebaut. Ein anderer Teil sei von einem kanadischen Partner übernommen worden. Das alles habe „extrem viel Geld gekostet“, weiß Didio.

Authentizität im Mittelpunkt

Technisch wurde der Dreh der Spielszenen in den drei genannten Ländern mit Sony F55 als Hauptkamera und zwei Sony F900 als zweite „Unit“ realisiert. Als Optiken wurden hauptsächlich S4 primes verwendet. Außerdem waren einige Uncoated Optiken im Einsatz wie auch Lensbaby und eine Snorkel-Optik. Wie hat man sich denn aber nun darauf vorbereitet, dass die neu gedrehten Spielszenen inhaltlich so mit dem Archivmaterial harmonieren, dass sie in der Montage miteinander in einem Fluss verschränkt werden können, wie es im Konzept vorgegeben war? Natürlich gab für den Dreh auf der einen Seite das Buch von Yury Winterberg und dem gesamten Autoren-Team, an dem ebenso Regisseur Jan Peter beteiligt war, die Orientierung. Doch in den Büchern stand noch nicht drin, wie die Spielszenen mit dem Archivmaterial verwoben werden sollen, ist von Regisseur Peter zu erfahren. Hierzu habe es bereits länger als ein Jahr vor dem Dreh eine Vorarbeit von den Cuttern Susanne Schiebler und Martin Schröder in Zusammenarbeit mit ihm gegeben.

„Tausende von Stunden“ habe man das Archivmaterial unter dem Aspekt gesichtet, welche einzelnen Szenen davon in Frage kämen, um sie mit den Spielszenen zu verknüpfen. Im Ergebnis wurde eine aufwändige Listung erstellt, die dann bei der Montage hilfreich war, so dass man beispielsweise die neu gedrehten Szenen im Schützengraben, mit denen vom Archivmaterial verweben konnte. Beim Dreh selber hingegen, so erzählt Peter, habe man sich allein auf die jeweilige Geschichte des Protagonisten konzentriert: Mit welcher Erwartung gehen sie am Anfang in den Krieg hinein, wie wird die vom Erlebten beantwortet. Jede einzelne Geschichte, so Peter, erzähle „ein Schicksal, eine Reise mit der Veränderung der Person“. Genau das sei die „Struktur des Films, an der alles angepasst worden ist“. Das Archivmaterial erhalte seine hohe Relevanz dadurch, weil nur dieses belegen könne, „dass tatsächlich alles passiert ist“. Die Geschichten seien „nicht erfunden“, spielten „nicht im luftleeren Raum“, sondern „es ist die Wahrheit“. Mit dem Archivmaterial werde „das Geschehen immer wieder verortet“ und es zeige, dass es sich „um echte und nicht ausgedachte Menschen“ handele, auch wenn sie von Schauspielern verkörpert werden. Es sei neu, davon ist Dedio überzeugt, dass erstmals eine Dokumentation „konsequent als Drama“ erzählt werde: „eine achtteilige Serie – horizontal, vertikal gebaut wie jede gute fiktionale TV-Serie“. Der Unterschied zur reinen Fiction sei nur, dass der Stoff auf der Authentizität der 14 benutzten Tagebücher basiere. Gleichzeitig räumt Dedio ein: „Wie aufwändig das tatsächlich ist, haben wir erst im Laufe der Entwicklung gemerkt“. Dadurch seien auch die Kosten während des Projekts deutlich gestiegen.

Wobei es auch sehr mühsam gewesen sei, dokumentarisches mit fiktionalem Know-How zu verbinden. „Es gibt sehr Wenige, die Know-How, Erfahrung, Gefühl, Ambitionen haben, die beiden getrennten Genres so miteinander zu verbinden, dass es funktioniert: eine Drama-Serie, die mich packt, wo ich unbedingt weitergucken möchte, wo ich weine oder lache, die aber konsequent an den Worten der Protagonisten bleibt und an dem Archivmaterial“.

Verschiedene Versionen

Warum schneidet denn nun die ARD für ihre Version auf Das Erste soviel Material, das auf Arte in der Primetime gesendet wird, wieder weg, um einen Vierteiler daraus zu machen? Und was genau wird weg geschnitten? Darauf geht Gerold Karwath, der die Redaktion für das Das Erste/SWR verantwortet nicht im Einzelnen ein. Er betont vielmehr, dass der SWR – zusammen auch mit dem WDR – bereits 2009 ein Konzept für die Darstellung des Ersten Weltkriegs 2014 ein ähnliches Konzept wie das nun realisierte gemacht habe. Man habe schon damals beschlossen, auf die Tagebücher zu schauen und die wichtigsten Erlebnisse der Protagonisten zu inszenieren und das alles mit Archivmaterial anzureichern, samt einem Erzähler, der die dokumentarischen reportiert.

Das sei der Grund gewesen, warum man beim Angebot von Looks auch sofort auf dieses Projekt aufgesprungen sei. Man werde nun den Vierteiler aus einer „Kompilation“ aus den acht Teilen von Arte bringen. Dabei werde es in etwa die gleichen szenischen Ausschnitte geben, aber neu zusammengestellt nach den vier thematischen Oberbegriffen „Der Aufbruch“, „Die Front“, „Die Heimat“ und „Die Entscheidung“. Das kompilierte Drehbuch dazu habe ebenfalls Looks verfasst – samt den redaktionellen Änderungswünschen.

Wie bei Arte wird es auch von Das Erste einen ausgiebigen Internetauftritt zu „14“ geben. Der Online-Auftritt bleibt wie Karwath sagt dann auch mindestens fünf Jahre bestehen, weil man sich die Rechte dafür besorgt habe. Zudem wandert das Projekt in die dritten Programme und der SWR bereitet einen weiteren Online-Auftritt für die Schulen vor, wobei auch in Zusammenarbeit mit den Kultusministerien Unterrichtsmaterial dazu für Lehrer angefertigt wird. Außerdem werde es auch noch eine Fassung für den Hörfunk geben.
Erika Butzek

(MB 3/14)

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