Gelebte Partnerschaft

ARD und ZDF haben eine positive Bilanz zur Berichterstattung über die Olympischen Sommerspiele 2012 gezogen. Maßgeblichen Anteil am Erfolg der TV-Produktion hatten das ARD/ZDF-Team im International Broadcast Center (IBC) in London. MEDIEN BULLETIN schaute hinter die Kulissen der öffentlich-rechtlichen Olympia-Produktion und sprach mit den Machern.

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Gelebte Partnerschaft

Möglichst weniger ausgeben und dafür mehr Output generieren lautete die Devise von ARD und ZDF bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London (27. Juli – 12. August 2012). Glaubt man den vorgelegten Zahlen, dann hat das prima geklappt. Die Einschaltquoten im Fernsehen waren gut und die umfangreichen neuen Live-Streaming- und On-Demand-Angebote der Öffentlich-rechtlichen von den Londoner Spielen bewegten sich auf absolutem Rekord-Niveau.

Kritik gab es natürlich auch. So wurde in den Medien bemängelt, dass ARD und ZDF die Live- und zeitversetzten Übertragungen nicht klar genug gekennzeichnet hätten. Vieles, was als live verkauft wurde, sei in Wirklichkeit gar nicht live gewesen. Die Zuschauer hat das weniger gestört. Die Öffentlich-rechtlichen nahmen ihren Widersachern geschickt den Wind aus den Segeln, indem sie noch vor Ende der Spiele eine beim IFAK-Institut in Auftrag gegebene Umfrage unter den Olympia-TV-Zuschauern veröffentlichten. Und darin wird konstatiert, dass die große Mehrheit der TV-Zuschauer total zufrieden mit dem olympischen Bilder-Angebot von ARD und ZDF waren. 73 Prozent der befragten Olympiazuschauer gaben den Sendern die Bestnoten „sehr gut“ oder „gut“.

Bei der ARD verfolgten im Schnitt 3,33 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer die Sendungen „Olympia Live“. Der Marktanteil lag bei 23,7 Prozent (Werte ohne die Übertragungen der Wettkämpfe am Sonntag sowie der Abschlussfeier). Das ZDF meldete mit 3,58 Millionen Zuschauern einen durchschnittlichen Marktanteil von 24,5 Prozent. Die Mainzer erreichten beim 100-Meter-Finale der Männer am 5. August 2012 den Topwert von 8,81 Millionen Zuschauern und die ARD am 10. August, ebenfalls bei der Leithathletik-Übertragung, den Top-Wert von 9,61 Millionen Zuschauer. Die Seite sportschau.de/olympia verzeichnete mit mehr als 126 Millionen Page Impressions (PIs) noch vor Ende der Spiele in London eine zehnmal höhere Nachfrage als insgesamt bei Peking 2008. Mehr als 27,4 Millionen Mal wurden die bis zu sechs parallelen Livestreams genutzt (siehe Extra-Beitrag in dieser Ausgabe).

ARD-Teamchef Walter Johannsen vom NDR sieht das Ende der Spiele dennoch mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Nach den Paralympics geht der 65-jährige in den Ruhestand – nach 40 Jahren Tätigkeit für den NDR. Sein letzter Olympia-Einsatz ist auch sein letzter Job für die ARD. Johannsen hat mit Ausnahme der Boykott-Spiele 1980 in Moskau alle Olympischen Sommerspiele seit München 1972 begleitet und die Entwicklung der TV-Produktion bei diesem Großevent hautnah erlebt. Die technischen Möglichkeiten, die die filebasierte Produktion heute bietet, betrachtet er mit norddeutscher Sachlichkeit. „Manche Versprechungen, die mit der Einführung neuer Technologien gemacht worden sind, sind nicht immer eingetreten. Nicht alles ist besser und schneller geworden, aber vielleicht kommt das ja noch“, erklärte er in einem hauseigenen Sportschau.de-Interview.

Gegenüber MEDIEN BULLETIN wies er in London darauf hin, dass die Sparanstrengungen der öffentlich-rechtlichen Sender die Olympia-Produktion nicht gerade vereinfacht hätten. Gleichzeitig seien die Anforderungen gestiegen. Johannsen: „Wir sind in erster Linie hier, um ein gutes Olympia-Hauptprogramm zu gestalten. Dafür stehen uns im täglichen Wechsel mit dem ZDF rund 15 Stunden zur Verfügung – von 9.45 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts. Um diese Sendefläche zu füllen sind einige Anstrengungen nötig. Andererseits reicht unsere tägliche Sendezeit aber lange nicht aus, um das gesamte olympische Programm abzubilden. Da fällt zwangsläufig vieles unter den Tisch. Deswegen haben wir in der Vergangenheit zwei Digitalkanäle als eine Art Überlaufbecken zum zusätzlichen olympischen Programmangebot bespielt. Heute sind die Zuschauer technisch soweit ausgerüstet, dass sie die Inhalte statt über TV-Digitalkanäle auch über Internet-Streaming-Plattformen empfangen können. Wir nutzen deshalb nun die Möglichkeit, 60 Stunden pro Tag auf bis zu sechs Leitungen parallel zu streamen. Das ist für uns Neuland und technisch keine triviale Angelegenheit. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das ordentlich abwickeln werden.“

In der Tat: Soviel Berichterstattung zu Olympischen Spielen gab es in der ARD noch nie: Rund 130 Stunden Fernsehen im Ersten, 900 Stunden in den sechs parallelen Livestreams im Internet und hunderte Berichte und Reportagen in den Radioprogrammen des Senderverbundes. ARD und ZDF zusammen kamen im TV auf ein Sendevolumen von circa 260 Stunden Olympia live.

Sparanstrengungen

Das ist deutlich mehr als bei allen bisherigen Olympischen Spielen zuvor angeboten wurde – und das trotz vorgegebener Kostendeckelung. Die ARD durfte laut Johannsen nicht mehr als 500 Mitarbeiter nach London schicken und nicht mehr als zehn Millionen Euro für die Olympia-Produktion ausgeben. Von den 480 Kolleginnen und Kollegen vor Ort seien 180 zugleich auch für das ZDF aktiv – zum Beispiel viele Kameraleute. Gespart worden sei auch wieder durch die gemeinsame Nutzung der Technik mit dem ZDF. „Wir haben dasselbe Studio, das wir jeweils nur etwas anders eingeleuchten, und wir teilen uns an den Venues, wo wir unilateral vertreten sind, auch die dort eingesetzten Ü-Wagen“, betonte er. Dabei handelte es sich um zwei HD-Ü-Wagen (Ü1 und Ü2) des NDR an der Schwimm- und an der Leichtathletik-Halle und zwei ZDF-Ü-Wagen beim Rudern (MP6) und Reiten (HD SNG1). Letzterer fungierte nicht als SNG sondern als kleiner Ü-Wagen mit drei Kameras. Die Produktionseinheiten wurden durchgehend von einer Crew betrieben. „Das ist gelebte Partnerschaft“, meinte Johannsen.

Der NDR-Mann weiß, dass gerade vor dem Hintergrund der Kostenreduzierung die Technik eine zentrale Rolle für den Erfolg der olympischen ARD/ZDF-Mission spielt. „Die größten Probleme im Vorfeld von London hatten sicherlich die Kolleginnen und Kollegen von Produktion und Technik zu bewältigen. Wir vom Programm haben uns dann quasi ins ‚gemachte Bett’ legen können und profitieren von der immensen professionellen Vorarbeit, die in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren geleistet worden ist. Unsere Erwartungen mit Blick darauf, was unsere technischen Kollegen hier aufgebaut haben, sind übertroffen worden“, lobte er. „Sie haben alles getan, damit wir hier Super-Sendungen machen können.“ Natürlich sei man auch abhängig davon, was der Olympic Host Broadcaster (OBS) als Weltbildanbieter abliefere. Aber auch hier sei qualitätsmäßig wieder eine deutliche Steigerung gegenüber Peking zu erkennen. „Als Insider fällt man da fast vom Glauben ab. OBS hat zum Beispiel eine Seilkamera im Einsatz, die von Greenwich losfährt, über das Reitstadion, über die Themse bis hier hin in den Olympic Park. Das ist technische Höchstleistung. Die Bilder sind genial. Auch gibt es eine Flycam über die komplette Ruderregatta-Strecke, die brillante Bilder von den Booten liefern“, begeisterte er sich. Johannsen: „Unsere Aufgabe ist es, die vorhandenen Bilder mit unseren eigenen Kameras zu ergänzen, um eine deutsche Farbe rein zu bringen. Viele Möglichkeiten haben wir dabei nicht. Aber solides Handwerk ist natürlich gefragt.“

Technische ARD/ZDF-Installation

Planung und Realisierung der rundfunktechnischen Installationen lagen in London wieder in den Händen der beiden Technischen Leiter Dieter Thiessen (ARD) und Gunnar Darge (ZDF). Das ZDF betreute wie schon bei anderen Olympischen Spielen zuvor wieder das IBC und die ARD den Bereich Außenübertragung mit allen technischen Produktionseinrichtungen der öffentlich-rechtlichen Sender an den Sportstätten und im Deutschen Haus.

Die technische Planung und Installation gestaltete sich für nationale Veranstalter bei den Olympischen Spielen komplex und zeitaufwändig. „Das ist der weltweit größte Event und davon sind wir nur ein kleiner Teil. Deswegen geht alles, was wir hier brauchen, aus organisatorischen Gründen nur über Anmeldungen und über das OBS-Ticketsystem. Man kann nicht mal eben schnell ein Kabel verlegen oder eine Kommentatorenbox testen. Alles geht über die Koordination und das OBS Booking Office“, erklärte Darge. Auch habe man bei der Olympia-Installation wegen der Kostendeckelung nicht gerade aus dem Vollen schöpfen können, meinte sein ARD-Counterpart Thiessen. Im Vergleich zu den Spielen in Peking habe man im AÜ-Bereich überall abspecken müssen. Eigene Bearbeitungsmöglichkeiten vor Ort habe man nur noch an der Ruderregatta-Strecke gehabt, wo ein NDR-HD-Schnittmobil mit einem Arbeitsplatz geparkt war. „Früher hatten wir auch bei der Leitathletik und beim Schwimmen eigene Teams und Schnittplätze in den Venues. Hier in London wird deren Arbeit nun bei uns im IBC in den Avid-Schnitträumen gemacht“, erklärte Thiessen. Das Schnittmobil an der Ruderstrecke sei nötig gewesen, weil diese zu weit entfernt vom IBC war und die Redakteure die IBC-Infrastruktur nicht so einfach nutzen konnten. Für die unilaterale Produktion der öffentlich-rechtlichen Sender wurden beim Reiten und Rudern drei Kameras eingesetzt, beim Schwimmen fünf. In der Schwimmhalle gab es zudem noch eine kleine Presenter-Plattform mit zwei Kameras für die ARD/ZDF-Experten. Bei der Leichtathletik kamen auch noch vier ARD/ZDF-Kameras zum Einsatz. „Auch das ist erheblich weniger als wir in Peking hatten“, meinte der Technische Leiter der ARD.

Bei der Leichtathletik eingesetzt wurde der MPSR-Container des ZDF, indem sich eine Subregie für drei EVS-Arbeitsplätze mit XT3 Maschinen befand. „Das ist nötig, weil bei Leichtathletik ja viele Wettkämpfe gleichzeitig ablaufen und aufgezeichnet werden müssen“, sagte Thiessen. Auf ein Extra-Studio im Deutschen Haus verzichteten ARD und ZDF bei den Olympischen Spielen 2012. Schalten dort hin waren jedoch möglich. In den Sport-Hallen hatte man insgesamt auch weniger Reporterplätze angemietet. Viele Sport-Events wurden nicht direkt vor Ort kommentiert worden sondern von Sprecherplätzen im IBC aus, wo das Geschehen dann nur auf einem Monitor verfolgt werden konnte. Die Kamera-EB-Teams waren nicht mehr dauerhaft vor Ort, sondern wurden nach Bedarf eingesetzt. „Das führt zu einem erhöhten Aufwand an Logistik und unter Umständen auch zu erheblichen Zeitverlusten. Wir sind in unseren Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt, nicht mehr ganz so direkt und nah dran, hoffen aber, dass das für unser Publikum nicht so erkennbar ist und die gewohnte Qualität dadurch keinen Schaden nimmt“, meinte Johannsen.

EVS/Avid-Installation

Im IBC hatten ARD und ZDF wieder ihre Mobile Produktionseinheit (MPE) im Einsatz, ergänzt um zusätzlich angemietetes Material. „Im MPE existieren sechs Avid-Schnittplätze. Damit lassen sich EM und WM machen aber für die Olymiade haben wir uns zwölf weitere bei Wellen+Nöthen angemietet“, berichtete Darge. Alle 18 Avid-Schnittplätze im IBC zusammen hatten 110 TB Speicherkapazität, waren doppelt redundant ausgelegt und aufgeteilt in sechs Arbeitsbereiche. Rund 1.300 Stunden Material konnte darauf ablegt werden. In der Avid-Welt konnten zwölf Signale gleichzeitig aufgezeichnet werden. Zum Ein- und Ausspielen wurden Avid Airspeeds genutzt. Auch zwei Audiomixplätze mit Fairlight-Pulten waren mit dem Avid-Netzwerk verbunden. „Wir arbeiten hier mit dem Format Avid DNxHD120 weil wir mit der EVS-Welt kompatibel sein wollen. Über acht Live-Streams können wir hier Material aus der EVS- in die Avid-Welt schicken“, berichtete Thiessen.

Im IBC-Serverraum standen ARD und ZDF 16 XT3-Maschinen von EVS mit 50 Record-Kanälen zur Verfügung mit denen über 3.000 Stunden Material aufzeichnet werden konnte. In der Avid-Welt konnten ARD und ZDF auch noch Speicherplatz für 250 Stunden EB-Rohmaterial nutzen. Die EB-Teams der ARD zeichneten im XDCAM HD-Format auf, die des ZDF im P2-Format. Im IBC hatten ARD und ZDF fünf EVS-Arbeitsplätze sowie EVS-Playout-Plätze in der Senderegie. Zudem gab es noch einen Schnittplatz für Teaser und Trailer für die ARD. Hier wurde wie bereits in Peking wieder ein Quantel eQ-System eingesetzt.

Im Grafik-Bereich arbeiteten ARD und ZDF gemeinsam auf der VIZRT-Plattform. Normalerweise setzt der NDR hier Chyron ein. „Wir wollten in London aber möglichst alle Doppelstrukturen vermeiden“, erklärte Thiessen.Ihren Audiomix machten ARD und ZDF im IBC (International Broadcast Center) wieder auf einem mc²90- und einem mc²56-Pult von Lawo. Beide gehören ebenfalls zur mobilen Produktionseinheit (MPE) von ARD und ZDF. Im IBC-Schaltraum der öffentlich-rechtlichen Sender wurden die Audiosignale dem Ausgangssignal beigefügt. Dabei kam eine redundant ausgelegte Nova73 HD Kreuzschiene zum Einsatz. Beim ARD Radio wurde mit einem Lawo-mc²56-Pult und mit drei -Crystal-Pulten gearbeitet.Neben Wellen-Nöthen gehörten auch Presteigne Charter und Riedel zu den Unternehmen, die die MPE mit Zusatzequipment zu den Olympischen Spielen versorgte. Dazu gehörten unter anderem auch Riedel Artist Intercom Sprechstellen, Sony OLED-Monitore, Penta-Kontrollmonitore und Evertz-Multiviewer. Die entsprechenden Aufträge wurden laut Thiessen über europaweite Ausschreibungen vergeben.

Neu im MPE sind die Kabelkopfstelle B-Nova von Blancom Digital und Blancom MPEG-Encoder. „Wir können damit 56 HD-Signale in DVB-C modulieren und die Signale dann hier in unser HF-Netz einspeisen. In unseren Büros und Redaktionen im IBC können sie dann auf Consumer-Displays empfangen werden. Wir können auch noch einen Teil des Astra-HD-Bouquets mit einschleifen, alles in Super-Qualität“, berichtete Darge.

Gegenüber der Olympia-Installation vor vier Jahren in Peking hat sich nach seinen Angaben einiges getan. Darge: „Die Workflows haben sich erheblich verfeinert. In Peking mussten wir noch einige Workarounds machen, um überhaupt den gewünschten Arbeitsprozess realisieren zu können. Das ist heute anders. Es gibt mehr Hard- und Software-Tools, die einem helfen, Filetransfers an der einen oder anderen Stelle zu vereinfachen. Auch in Sachen Codec hat man in den letzten Jahren viel dazu gelernt. Wir reden hier heute mehr über Netzwerke. Klassisches Broadcast mit Audio/Video-Verkabelung tritt in den Hintergrund. Wir haben hier mehr Netzwerk- und Gigabit Ethernet-Verbindungen. IT nimmt immer mehr Einfluss auf unsere Arbeit. Und es gibt immer mehr Glasfaserkabel – insbesondere beim Ton. Heute bekommen wir eine einzige MADI-Verbindung vom Hostbroadcaster und da sind alle Kommentatoren-Signale drin. Unser Schaltraum wirkt dadurch heute schon sehr aufgeräumt.“

Nach dem 9. September beginnen für ARD und ZDF im Londoner IBC die Abbauarbeiten. Dann sind die Paralympics beendet, die auf die Olympischen Spiele folgen. Das gemeinsame MPE-Equipment von ARD und ZDF einschließlich der im IBC verlegten zehn Kilometer Kabel wird dann wieder zurück ins Lager nach Mainz gebracht und für den nächsten großen Sport-Event präpariert. Die Planung der TV-Produktion zu den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi hat schon längst begonnen.
Eckhard Eckstein
(MB 09/12)

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