„Auch die ‚CSI‛-Quoten werden purzeln“

Innovationsdruck für deutsche TV-Fiction Fast 15 Jahre lang hatten deutsche TV-Fiction-Produzenten ihren einheimischen Zuschauermarkt voll im Griff und beachtliche Erfolge im Auslandsverkauf zumindest in Europa erobert. Doch jetzt sind sie in der Bredouille.

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Immer mehr wichtige Fiction-Sendeplätze werden von den zwei dominierenden kommerziellen Senderketten RTL und ProSiebenSat.1 mit preiswerterer US-Lizenzware besetzt. Allerdings ziehen die öffentlich-rechtlichen Sender von ARD und ZDF bei diesem Trend zurzeit nicht mit. So wird es im dualen Fernsehsystem einen spannenden Wettbewerb zwischen Fiction made in Germany und made in Hollywood geben. Neue Ideen sind gefragt, inhaltlich – aber auch produktionslogistisch.

Die Trendwende hin zur US-Lizenzware im kommerziellen deutschen TV-Fiction-Programm hatte sich schon vor rund vier Jahren angekündigt. ProSieben konnte erst mit „Sex And The City“, dann mit „Desperate Housewives“ nicht nur seine Zuschauer, sondern auch die Kritiker von Boulevard und Feuilleton begeistern, zumal alle gemeinsam besonders aufgeschlossen sind, wenn es sich um etwas prickelnd Neues aus Hollywood und nicht aus der schnöden Heimat handelt.
Dann aber machte doch erst einmal wieder die deutsche Fiction-Produktion Furore: mit dem Serienformat Telenovela, das sich immerhin an einem südamerikanischen Vorbild orientierte. Die so genannte industrielle Produktion wurde anhand von „Bianca – Wege zum Glück“ gemeinsam vom ZDF und der Grundy UFA nach dem Rosamunde Pilcher ZDF-Märchen-Erfolgsformat so ausgetüftelt, dass für einen Sendeplatz am frühen Nachmittag ein sensationeller Filmlook entstand, der in einer ebenso sensationell schnellen Produktionszeit entstand und – man muss es immer wieder neu betonen – eine Fiction-Innovation in Bezug auf die Erzähl- und Produktionsweise im hiesigen Fernsehmarkt schuf. 42 Minuten wurden pro Tag – überwiegend im Studio – produziert, so dass die rund 200 Folgen nahezu in Echtzeit wie bei Liveübertragungen entstanden. Damit war auch ein neues Produktionsinstrument geboren, das eine Antwort auf den zunehmenden Kostendruck im Fernsehmarkt fand. Zuvor hatte die Messlatte für Fiction-Daily-Soaps wie GZSZ noch bei 23 Minuten gelegen, erinnert sich Grundy UFA-Chef Rainer Wemken. Als dann auch noch bei Sat.1 mit „Verliebt in Berlin“ die Quoten am Vorabend gen Himmel zischten, gab es in Sachen Telenovela-Boom kein Halten mehr. Fast alle deutschen TV-Fiction-Produzenten hatten plötzlich neue Telenovela-Konzepte in der Mache, weil alle Sender danach lechzten.

Vielleicht ist in dieser Zeit die Orientierung auf fällige Innovationen im Prime-Time-Serienbereich verloren gegangen. Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann waren zu viele Telenovelas auf dem Markt. Der Boom brach im Verdrängungswettbewerb in sich zusammen – auch wenn das Genre Telenovela mit Sicherheit als fester Bestandteil des deutschen Fiction-Marktes erhalten bleibt, zumal die hohe Stückzahl in der seriellen Produktion zu dem allseits angestrebten optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis führt.
Derweil hatte längst Jerry Bruckheimer den deutschen Fernsehmarkt auf leisen Sohlen betreten, um in ihm seine Hollywood-Standards zu setzen. Schon in 2000 hatte Bruckheimer („Fluch der Karibik“, „The Rock“), der als einer der mächtigsten Männer in Hollywood gilt, mit der TV-Serie „Crime Scene Investigation“, „CSI“, in den USA einen Lichtblick in Sachen Einschaltquoten für die dort erfolglos vor sich hindümpelnde TV-Serienproduktion gesetzt, indem er den Production Value von teuren Kinoproduktionen auf das Fernsehen übertrug.

GGI als Erfolgskonzept
Im Mittelpunkt der „CSI“-Krimi-Geschichten steht die auch für den deutschen Markt neuartige fiktionale „Beweis- und Spurensicherung“, die mittels verschiedener spektakulärer Effekte – von Computer-Generated-Images, GGI, bis zu getricksten rasanten Kamerafahrten in kleinste Blutbahnen oder in verglühende Kolben hinein – in visuellen Rückblickenden mittels quasi computergenerierten wissenschaftlichen Analysen das erlebbar macht, was man normalerweise gar nicht sehen kann.

Sukzessive feierten die ungezählten vielen Episoden, die es von „CSI“ mittlerweile seit der Urfassung in Las Vegas und den Spin-offs in Miami und New York gibt, auf dem Sender VOX überraschend hohe Quotenerfolge, bis dann der große Schwestersender RTL den Sensationserfolg bei sich selbst platzierte, im Dreifachpack von US-Lizenzware zusammen mit „Dr. House“ und „Monk“ am Dienstagabend.
VOX plant jetzt ab Februar dieses Jahres einen dritten Krimi-Serien-Line-Up mit US-Lizenzware, der dann im Wettbewerb mit den deutschen ZDF-Krimis am Freitagabend tritt. Mit „Close to Home“ gibt es ein neues Format von Jerry Bruckheimer zu sehen, zusammen mit anderer US-Lizenzware wie beispielsweise „Crossing Jordan“ und „The District“. Auch Sat.1 hat längst etliche eigenproduzierte deutsche Serien- und Moviereihen abgesetzt und durch US-Lizenzware ersetzt. Zumal die Lizenz-Serien viel preiswerter als die Eigenproduktionen sind, verstärkt nun auch Sat.1 den Trend, obwohl der Berliner Sender bislang sein spezielles Profil gerade durch Eigenproduktionen made in Germany gewann. Sogar die Telenovela „Verliebt in Berlin“ gibt es ab Frühjahr in der US-Version als „Ugly Betty“ noch einmal als Lizenzware zu sehen. Schon seit Januar ist bei Sat.1 donnerstags in der Prime-Time ab 20.15 Uhr die Ex-Kabel-eins-Krimi-Serie „Without A Trace“ auf Sendung gefolgt von der Serie „Navy CSI“, die Sat.1 gegen RTLs „CIS Miami“ setzte. Eine zweite Staffel von „Numb3rs“ hat Sat.1 gegen RTLs „Bones“ platziert. Von „Prison Break“ (bei RTL) bis zur Anwaltsserie „Boston Legal“ (bei Vox) wird nun alles, was ein bisschen Erfolg im US-Markt feiern konnte, auch hierzulande gesendet.

Dagegen bleiben ARD und ZDF in 2007 den deutschen fiktionalen Eigenproduktionen treu, zumal sie damit insgesamt gesehen keine schlechteren Quoten als die Privaten machen. Allein Das Erste wird mehr als 100 neue deutsche Fernsehfilmproduktionen zeigen, die größtenteils eskapistische Gelüste der Fernsehzuschauer in der Prime-Time bedienen, die Flucht in eine romantische fiktionale deutsche Welt, in der zum Schluss immer das Gute siegt. So bleiben denn auch die erfolgreichsten Serien wie etwa „Familie Dr. Kleist“, „Der Dicke“, „Adelheid und ihre Mörder“ sowie die Nonnen-Serie „Um Himmels Willen“ bestehen. Mit neuen eskapistisch-traditionell gestrickten Reihen wie „Der Winzerkönig“ konnte die ARD im vergangenen Jahr ihre größten Erfolge im fiktionalen Bereich feiern, neben dem „Tatort“ – natürlich. Beim ZDF wird es weiterhin viel Rührseliges à la Rosamunde Pilcher geben. Gleichzeitig ist aber eine Modernisierung des in Deutschland so beliebten Genres „Krimi“ auch bei den Öffentlich-rechtlichen deutlich zu erkennen. Nachdem Derrick schon lange von der Bildschirmfläche verschwunden ist und auch „Der Alte“ geht, wird es in den neuen ZDF-Krimi-Reihen-Produktionen wie etwa „Der Kriminalist“, „KDD – Kriminaldauerdienst“ oder „Stolberg“ viel härter, nämlich realistischer und temporeicher zur Sache gehen. Selbst bei den „Tatorten“ ist ja schon häufig ein frischer Wind zu spüren.

Überhaupt wird es im Gesamtprogramm des deutschen Fernsehens eine sagenhafte Krimi-Schwemme geben, nicht nur mit US-Lizenzprogrammen, so dass Dr. Claus Beling, Hauptredaktionsleiter Unterhaltung/Wort im ZDF, schon eine „Überlastung des deutschen Krimi-Marktes“ sieht. Nach dem Vorbild „CSI“ und „24“ versucht beispielsweise RTL neben der Krimiware aus den USA mit „Post Mortem“ auch eine innovative eigenproduzierte Krimi-Serie zu setzen. Während es sich allerdings bei „CSI“ um eine HD-Produktion mit vielen teuren GGIs handelt, wurde „Post Mortem“ auf 16mm gedreht, wobei die vielen Computereffekte, die in schnellem Schnitt aufeinander folgen, einfach von den Computern abgefilmt worden sind, die zu der echten auf High-Tech getrimmten rechtsmedizinischen Ausstattung von „Post Mortem“ gehören, was ebenso zu einem hohen Production Value-Look führt.

Rezept „Modulproduktion“
Auch Sat.1 versucht mit der neuen eigenproduzierten Krimiserie „R.I.S“, deren Vorbild sowohl in Italien als auch Frankreich mit großem Erfolg – sogar gegen „CSI“ – lief, eine vergleichsweise preiswerte Produktionsweise zu entwickeln, die dennoch zu einem hohen Production Value mit Kino-Look für die Prime-Time führt. Das Rezept heißt „Modulproduktion im Studio“. Das Charakteristische daran ist laut Sat.1-Sprecherin Jutta Kehrer, dass beim Dreh parallel in zwei Studios gearbeitet werde. In dem einen Studio findet der Hauptplot statt, in dem anderen werden neue Kulissen aufgebaut, wobei aber stets das Licht genauso gesetzt werde, dass auch bei Szenenübergängen durchgehend derselbe Look aufrecht erhalten bleiben kann: „Die Rahmenbedingungen bleiben immer identisch“, sagt Kehrer. Aufgrund der „Widererkennbarkeit der Lichtverhältnisse“ entstehe eine generelle optische Widererkennbarkeit für die Serie: „ein extrem hochwertiger Look wie bei ‚CSI‛“. Von der industriellen Produktionsweise einer Telenovela unterscheide sich die Modulproduktion durch ihre Hochwertigkeit.

Zwar „spart man“ laut Kehrer im Vergleich zur herkömmlichen Produktionsweise für Prime-Time-Serien, habe aber dennoch „ein High-End-Produkt“.

Wenig Vermarktung = kleines Budget
„Eine Folge ‚CSI‛ kostet rund drei Millionen – wir haben im Schnitt 600.000 zur Verfügung. Das ist ein Fünftel“, vergleicht beispielsweise TeamWorx-Chef Nico Hofmann („Dresden“, „Die Sturmflut“) die ungleichen Budgetvorrausetzungen in den USA und Deutschland. Hans Joachim Mendig, Krimi-Produzent (unter anderem „Ein Fall für zwei“, „Die Kommissarin“, „Der letzte Zeuge“) und Vorstandsvorsitzender der Odeon Film AG, sieht es denn auch als einen gewissen Nachteil für deutsche Produzenten an, dass sich selbst millionenteure US-Produktionen allein im einheimischen US-Fernsehmarkt refinanzieren – und on top auch noch weltweit vermarktet werden könnten, wohingegen deutsche Produktionen eher nur im europäischen Markt zusätzliche Erlöse generieren könnten. Also muss, um eine Refinanzierung im eigenen Markt zu erreichen, von Anfang entsprechend niedrig budgetiert werden. Zumindest dann, wenn es sich nicht um TV-Events handelt, die größere Finanzierungsspielräume haben.

Dass momentan US-Serien wie schon einmal in den 80er Jahren jetzt wieder in Deutschland reüssieren, betrachtet Mendig grundsätzlich als eine „zyklische“ Entwicklung. Er weist darauf hin, dass deutsche Fiction-Produzenten ihren heimischen Markt erstaunlich viele Jahre im Griff gehabt haben. Der Trend, dass Zuschauer vornehmlich einheimische TV-Fiction-Ware gefordert haben, sei schließlich „erst wieder in 2001/2002 gekippt“.
Natürlich, so Mendig, habe die neue Vorliebe für US-Serien „für die Sender klar den Vorteil, dass sie preiswerter an Programm herankommen könnten“. Auf die Frage, ob die deutsche Fiction-Produktion nicht unter einen neuen Innovationsdruck im Wettbewerb mit der US-Lizenzware gerate, stellt Mendig nüchtern fest: „Wir können so innovativ sein, wie wir wollen, es wird uns nichts nutzen, solange der Zuschauer die US-Serien unbedingt sehen will.“ Sowieso gäbe es beispielsweise auch in der deutschen Produktion von Krimi-Formaten „laufend Neuentwicklungen“. Aber man könne „den Krimi auch nicht von Grund auf neu erfinden“: Viele Krimis, so Mendig, „bestehen aus gebräuchlichen Plots. Die Innovation entwickelt sich eher innerhalb des Formats – vor allem mit Autoren, die mit Innovationen arbeiten“, sagt Mendig.
Dazu hat Odeon mit der neuen ZDF-Krimi-Reihe „Der Kriminalist“ bereits einen respektablen Modernisierungscoup realisiert. Allerdings räumt Mendig auch ein, dass die Amerikaner mittlerweile vor allem in der Postproduktion mit HD neue Trends setzen würden, die in Deutschland heute noch kaum refinanzierbar wären. Dabei werde durch das starke Aufkommen der US-Fiction nun in Deutschland natürlich weniger produziert, weil die Sendeplätze schon vergeben seien. Das wiederum, so Mendig, werde „zu einem hohen Wettbewerbsdruck und einen Verdrängungswettbewerb führen“. Wobei gleichzeitig der hohe Kostendruck sowohl bei den Produzenten als auch bei den Sendern bestehen bleibe.

Um einem schnellen Vorurteil vorzubeugen: Dass sich temporeiche und High-Tech-mäßig produzierte US-Serien vor allem bei den kommerziellen Sendern nach dem „CSI“-Krimi-Muster ausgebreitet haben, hängt nur marginal damit zusammen, dass, wie die Privaten gerne propagieren, sie wesentlich jüngere Seher als die Öffentlich-rechtlichen bedienen. Nach den Zahlen der RTL-Zuschauerforschung sind nur 15 Prozent der jüngeren Zuschauer (14 bis 29 Jahre) am aktuellen Quotenerfolg von „CSI Miami“ beteiligt. Vielmehr spricht RTL damit 46 Prozent der 30- bis 49-Jährigen und immerhin auch noch 39 Prozent der 50plus-Generation an.
Nicht umsonst ist der frühere Action-Sender RTL in der jüngeren Vergangenheit mit seinem Gesamtprogramm – Motto: „mein RTL“ – nicht mehr allein auf eine junge Zielgruppe, sondern auf die ganze Familie ausgerichtet. Wer mit dem Free-TV nach wie vor Massenkommunikation betreiben will, darf die Älteren nicht ausklammern, weil es viel zu wenig junge Menschen in Deutschland wie auch in anderen Industrienationen gibt.

Zielgruppe: 30plus
Von der ARD/ZDF-Forschung ist dazu zu erfahren, dass knapp 13 Millionen der in Deutschland lebenden erwachsenen Fernsehzuschauer im Alter von 14 bis 29 Jahre sind. Die aber gucken generell wenig Fernsehen, weil sie sich in ihrer Freizeit besser zu beschäftigen wissen. Demgegenüber steht der Massenmarkt von über 52 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die älter als 30 Jahre sind und die alle Free-TV-Sender erwischen wollen, um die – von der Werbewirtschaft – gewünschten hohen Quoten erreichen zu können.
Ein Fernsehsender, der sein Programm nach Quoten kalkuliert, wird heute immer versuchen, primär die Sehgewohnheiten der 30plus-Generation zu bedienen. Claus Beling, der seit Jahren erfolgreiche Fiction-Formate von der „Schwarzwaldklinik“ bis zur ersten deutschen Telenovela „Bianca – Wege zum Glück“ im ZDF etabliert hat, räumt ein, dass es traditionell eine „Zweiteilung“ im Zuschauerverhalten gäbe: Die unter 30-Jährigen wollen anderes als die über 30-Jährigen sehen: „Damit müssen alle Sender in der Welt leben“, sagt Beling, wie auch „mit dem weltweit herrschenden Kostendruck“. Auch Beling wiegelt auf die Frage, ob es zurzeit einen besonderen Innovationsdruck in der deutschen Fiction-Produktion gäbe, erst einmal diplomatisch ab: Gleichzeitig räumt er aber ein, dass gerade im Seriengeschäft immer ein „starker Druck“ bestehe, „um den Zuschauer zu binden“. Und: „Es muss weiter versucht werden, neue Serienmodelle zu finden, sonst wird es langweilig!“
Damit bestätigt Beling indirekt nicht nur das Gefühl, das viele im Medienbereich Beschäftigte, einschließlich der TV-Produzenten selber haben, wonach das deutsche Fiction-TV-Programm immer langweiliger wird. Beling räumt auch ein, dass man erfolgreiches Fiction-Fernsehen nur machen kann, wenn man ein intuitives Bauchgefühl zulässt, das zu einer emotionalen Leichtigkeit führt, die Beling „die Freude am Erzählen“ nennt. Ohne die geht es seiner Meinung nicht.

Wie auch eine renommierte ARD/ ZDF Medienforscherin weiß: „Die Begeisterung am Fernsehprogramm lässt sich nicht messen.“ Dennoch wird vor allem von den börsennotierten kommerziellen Sendern in Deutschland jede neue Fiction-Produktion von der Marktforschung rauf und runter durchleuchtet, obwohl das kaum etwas Konstruktives bringt. Die Sat.1-Produktion „Stadt, Land, Mord“ wurde von der Marktforschung als Top eingestuft, die Zuschauer urteilten: „Flop“. Viele durchgecheckte neue deutsche Fiction-Produktionen – vor allem Serien bei den RTL- und ProSiebenSat.1-Ketten – scheiterten, zumal, wenn sie sich an dem großen US-Vorbild orientierten. Jüngstes Beispiel: „Verrückt nach Klara“ auf ProSieben. Aus Angst vor dem Flop werden neue Flops erzeugt, das Produktionsteam von Autor bis Producer zur systematischen Vorsicht anstatt zur Freude am souveränen, emotional beschwingten Geschichtenerzählen getrieben.
Dabei ist es sowieso ein offenes Geheimnis, dass sich der Zuschauer „widersprüchlich verhält“, weiß jedenfalls Beling. Einerseits wolle der Zuschauer etwas ganz Neues sehen, etwa neue Gesichter. Andererseits schalte er nur ein, wenn er gleichzeitig etwas Vertrautes wie Iris Berben oder Linda de Mol entdecke.
Also versucht Beling, jeweils das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Nachdem beschlossen war, dass die ZDF-Vorabendserie „Rosenheim-Cops“ zu einer Weekly erweitert wird, bei der man eine Menge neuer Schauspieler rund um die ganz bekannten Gesichter braucht, hat Beling flugs die Idee gehabt, daraus eine von PR flankierte Talentsuche mit 17 Castings in ganz Deutschland zu machen, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich das ZDF auch um noch unbekannte Nachwuchsdarsteller bemüht. Natürlich aber bleiben die bekannten Gesichter im Mittelpunkt der Serie stehen.

Im „Traumschiff“ wird demnächst Harald Schmidt eine Gastrolle übernehmen, eine Innovation, die der „Zeit“ sogar ein Dossier wert war! Innovation ist für Beling auch der Spin-off, der mit „Kreuzfahrt ins Glück“ nun aus dem „Traumschiff“ in Verbindung mit einem „Wedding Planner“ – eine auf ProSieben eingeführte erfolgreiche Soap – entsteht. Dabei wird dann gleichzeitig der Cast mit zwei Schauspielern aus den ZDF-Telenovelas „Julia“ und „Tessa“ verjüngt.
Und wenn man Belings jüngste Produktionsinnovation unter dem Titel „Im Tal der wilden Rosen“ sieht, kommt einem die Atmosphäre von „Am Fuß der blauen Berge“ mit deutschen Protagonisten und getragen von einer Art Dr. Schiwago-Melodie entgegen. Die Zuschauer haben die Idee bereits im letzten Jahr mit hohen Quoten belohnt. Es ist eine Märchenwelt, die auch von genauso einer Erzählstimme eröffnet wird und dem Zuschauer mit hohem Production Value ins Auge fällt, da es sich um traumhaft schöne Landschaften in einem wild-romantischen Tal in Kanada handelt. Eine neue Naturkulisse auf einem darauf spezialisierten ZDF-Sendeplatz am Sonntagabend als Innovation. Jedenfalls hebt Beling hervor, er sei stolz, dass es gelungen sei, eine rein deutsche Produktion mit deutschem Regisseur und deutschen Schauspielern „aus eigener Kraft“ in Kanada realisiert zu haben.

„CSI“ dagegen hält Beling für „sehr amerikanisch, temporeich und aufwändig“. „CSI“ koste viel Geld, und schnelle Action allein „bringt auch nichts“. Unbeeindruckt von den Quoten-Erfolgen, ist sich Beling sicher, dass die „Erzählweise von Land zu Land verschieden ist“. Für Beling stecken die Amerikaner immer noch in einer großen Serienkrise. Tatsächlich sind übrigens die jüngsten Bruckheimer-Produktionen in den USA schon wieder gescheitert. Zwar sei die inhaltliche Erzählweise bei „CSI“ „ein interessanter neuer Weg, aber auch nicht das Ei des Kolumbus“, urteilt Beling.

Was anderes als „Bügelfernsehen“
Für Mischa Hofmann, Geschäftsführer der Produktionsfirma „Hofmann & Voges“ („Mit Herz und Handschellen“, „Türkisch für Anfänger“) ist „CSI“ persönlich sogar „ein langweiliges Produkt“. Den aktuellen Quotenerfolg führt er eher darauf zurück, dass die Zuschauer mal etwas anderes als „Bügelfernsehen“ sehen wollen. Hofmann, der sich über sein aktuelles Geschäft überhaupt nicht beklagen kann, hat für die deutschen Fiction-Produktionen durchaus einen Innovationsdruck registriert, gleichzeitig aber auch „eine gewisse Ratlosigkeit, wie man ihm begegnen kann“.

Innovative Konzepte seien immer auch „mit einem Risiko verbunden“. In jüngerer Zeit seien „Neuerungen nicht unbedingt mit Erfolg gekrönt worden“. Dennoch hat sich Hofmann vorgenommen, etwa mit der neuen ZDF-Krimi-Reihe „KDD – Kriminaldauerdienst“ auch solchen Zuschauern etwas bieten zu können, die „die Nase voll vom Fernsehen haben“. Deutsche Fiction-Produzenten und die Senderverantwortlichen hätten sich vielleicht zu sehr auf den Lorbeeren, die sie bei ihrem Siegeszug auf den deutschen Bildschirmen in den vergangenen zehn Jahren hatten, ausgeruht.
Das deutsche Fernsehprogramm sei „nicht schlecht“, aber „es ist nicht besser geworden“. Dagegen, so Mischa Hofmann, habe man sich „international in der Erzählform gesteigert“. Er plädiert für „einen besonderer Blick auf unsere Welt“, für eine größere Erzähldichte, dafür, dass auch wieder mehr aus der Perspektive des Autors „ein eigener Ton“ entwickelt werde.
Aktuell aber sei in der deutschen Fiction-Produktion auch der Trend erkennbar, auf „altbackene Serien“ zu setzen, die „fast identisch“ seien „mit Programmen, die es früher einmal gegeben hat“. Solche Art eskapistisches Fernsehen sollte doch aber besser nur ein Teilaspekt im Gesamtprogramm sein, meint Hofmann. Die Herausforderung bestehe darin, den „Helmut Dietl von morgen wie einst mit ‚Kir Royal‛ neu zu entdecken“.

Mischa Hofmanns Namensvetter Nico Hofmann setzt auf ein anderes Rezept: „Deutsches Fernsehen“, so fordert der TeamWorx-Chef, müsse „deutlich provokanter“ werden! Dabei will er sich nicht nur mit seinem Doku-Drama-Projekt über Helmut Kohl an deutschen Erfolgsmodellen orientieren. Vielmehr plant Nico Hofmann mit dem aufwändigen Event-Zweiteiler „Die Grenze“, einem fiktiven Entwurf einer deutsch-deutschen Teilung im Jahr 2008, an das Straßenfeger-Vorbild des damaligen Tom Toelles „Millionenspiel“ anzuknüpfen. Hofmann: „Wir müssen mit Themenstellungen auch gesellschaftspolitisch relevante Themen aufgreifen und zuspitzen“. Schon im Januar konnte das ZDF mit der Ziegler-Produktion „Aufstand der Alten“ mit einer provokanten fiktionalen Dokugeschichte, die die Auswirkungen von einem untauglichen Renten- und Gesundheitssystem im Jahr 2030 provokant beschrieb, vor allem bei jüngern Zuschauern punkten.
„Jeder Sender“, so weiß Claus Beling, „muss für seine Erzählweise und Zeitschiene individuelle Lösungen finden.“ Wobei sich Mischa Hofmann sicher ist: „Irgendwann plötzlich werden auch die Quoten von ‚CSI‛ runter purzeln“.
Erika Butzek (MB 02/07)

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