Auf neuen Wegen

Das Fernsehen will mehr als nur Informationsmedium sein, will Erlebniswelten schaffen und den Brückenschlag über Crossmedia-Formate zu anderen Medien wagen: Dies zumindest stand auf der Agenda der Fernsehmacher, die sich am 9. November anlässlich des Bremer Fernsehpreises 2013, dem Regionalwettbewerb der ARD, im Funkhaus an der Weser zu Werkstattgesprächen zusammen gefunden hatten. Höhepunkt der Veranstaltung war die festliche Preisverleihung am Abend, bei der die innovationsfreudigsten und besten Lokal- und Regionalprogramme der ARD gekürt wurden.

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Auf neuen Wegen

Bei den Werkstattgesprächen galt der Blick den Entwicklungen des Lokalfernsehens und welche Perspektiven durch neue Studiotechniken und Formate in diesem Bereich sich eröffnen. „Schließlich ist es ein Ziel, die Regionalprogramme in den Dritten weiter zu stärken, die zu den wichtigen Säulen der ARD gehören“, betonte Radio Bremen Programmdirektor Jan Weyrauch bei der Begrüßung der Gäste. Rainer Maria Tauber, Moderator der Werkstattgespräche, sieht ohnehin einen neuen Trend in der Fernsehlandschaft: „Die Bilder werden immer größer und rücken mehr in den Vordergrund der Beiträge, wo sie nicht nur zur Illustration der Texte dienen.“ Bilder könnten Hintergründe, die Geschichten hinter den Geschichten aufschließen, wenn sie stark sind; sie dienten der Belebung allemal und im besten Falle gelinge es sogar, die Zuschauer in die Programme hinein zu ziehen.

Mehr Visualität wagen wollte auch der rbb mit seinem neuen HD-Studio, aus dem seit Mai dieses Jahres das Regionalmagazin „zibb“ (Zu Hause in Berlin/Brandenburg) gesendet wird. Was die HD-Produktion und der file-basierte Workflow im 200 Quadratmeter großen Studio für die Produktion dieses Magazins bedeutet, erklärte der Leiter des Regionalmagazins Jens Riehle. Im Unterschied zu vielen anderen Sendern, wo die virtuellen Studios eingerichtet wurden, und die Hintergründe aus den Rechnern eingespielt werden, hat sich der rbb für ein reales Studioumfeld und Design entschieden. Mitten im Raum platziert befindet sich die Couch für die Gäste, doch der Blickfang in diesem Studio liegt auf der 18 qm großen Plasma-Videowand, die an den Seiten von weiteren Monitoren ergänzt wird. Das Studio ist großzügig angelegt worden, um viele Bewegungs- und Aktionsflächen für die beiden Moderatoren der Sendung zu schaffen. „zibb“-Redaktionsleiter Jens Riehle: „Wir wollten unsere Zuschauerinnen und Zuschauer positiv überraschen: Sie sehen viel mehr Bilder, Grafiken und Filme im Studio und wir können die Übergänge zwischen Moderationen und Beiträgen neu gestalten. Wichtig war uns, dass wir große Bilder zeigen können. Und wir wollten ein Erlebnisstudio gestalten, in dem visuelle Räume geschaffen werden können. Dem Zuschauer wollen wir so suggerieren, über die Bilder in neue Räumlichkeiten und Welten zu gelangen.“

Anstatt des klassischen Magazinprinzips im Rhythmus des Wechsels von Moderation und Beitrag sollen im „zibb“-Studio fließende Übergänge in die Bilderwelten inszeniert werden. Dazu sind zwölf 60-Zoll-Plasmamonitore zu einer 17 Quadratmeter großen Videowand zusammengefügt und die Monitore hochkant angeordnet: „Wir wollten dem Zuschauer dadurch vermitteln, dass er nicht in Monitore schaut, sondern durch Fenster blickt, die sich öffnen.“ Mit nur wenigen Handgriffen entsteht so ein Hintergrund für Sondersendungen wie „rbb spezial“ aus Potsdam oder auch eine kurzfristige Schaltung zur Tagesschau. Als alternative Lösung für HD-taugliche Bilder im Gespräch waren LED-Monitore oder auch die Möglichkeit der Rückprojektion über große Spiegelflächen, wie sie im neuen Tagesschaustudio der ARD eingesetzt wird. Die LEDs stoßen bei viel Bewegung im Bild (unsere Moderatoren sind viel unterwegs) an ihre Grenzen und für eine Rückprojektionslösung mit großen Spiegeln hätte es eines noch größeren Studios bedurft, da die Spiegel-Raumtiefe hinter der Videowand benötigen, wie Riehle erklärte.

Die auf große HD-Bilder angelegte Monitorwand zwang zum Umdenken in der Studioproduktion. Die Arbeit in allen Bereichen habe sich stark verändert, berichtete Riehle. Jedes Bild, jede Graphik bedürfe einer genauen Planung im vorhinein: „Für eine Magazinsendung kommen wir gut und gern auf 140 Positionen, die exakt durchgeplant sein müssen.“ Autoren und Kameramänner seien angehalten, bereits beim Dreh für die Bilder zu sorgen, die dem Visualitätskonzept mit der großen Bildwand gerecht werden. „Wir brauchen bestimmte Perspektiven und Neigungswinkel. Sonst funktioniert es nicht auf dieser Wand.“ Als Konsequenz daraus arbeitet der rbb in diesem Studio mit zwei CvDs und auch in der Redaktion wurde personal aufgestockt, weil mehr Recherche und Arbeit für die Materialbeschaffung anfällt. Sogar das Anforderungsprofil an die Redakteure habe sich gewandelt. „Im Grunde ist das heute hohes Bildregie-Können, das wir von den Redakteuren erwarten.“ Das „zibb“-Magagzin ist zwar keine Nachrichtensendung, doch es gibt tagesaktuelle Beiträge, die eben der entsprechenden Planung für die großen Bilder auf der Videowand erfordern.

Während der rbb hier den Weg beschreitet, das Regionalfernsehen visuell aufzuwerten, setzt der MDR auf stärkere Einbindung des Zuschauers durch Interaktivität und auch über das Web. Auf ein crossmediales Format umgestellt wurde die wöchentliche Sendung „Heute im Osten“. Ulrich Brochhagen, Redaktionsleiter Dokumentation/Osteuropa, erklärte, warum der Sender hier stärker intermedial denkt und vorgeht. Der Fokus des Magazins sei auf die Lebenswirklichkeiten im Osten von Deutschland und Osteuropa gelegt. Es werde gerne verglichen, wie sich das Leben seit der Wende entwickelt hat mit dem sozialistischen Alltag in den Jahren davor. Jede Ausgabe besitzt einen inhaltlichen Schwerpunkt, der mit einem eröffnenden Themendossier zuerst im Netz vorgestellt wird – zumeist eine Woche vor der wöchentlichen Ausstrahlung des Magazins. Im Studio werden sowohl die TV-Sendung als auch das Webformat produziert.

Den Abschluss des Themen-Dossiers im Netz bilden eine 15-Minuten-Reportage im Fernsehen (immer samstags) und das 30-minütige Magazin „Heute im Osten“ am Sonntag-Nachmittag. Am ersten November-Wochenende war beispielsweise das Thema „Liebe ohne Grenzen“ dran über Beziehungen, die Grenzen überwinden müssen damals und heute. Insbesondere für die Zeitgeschichte im Osten wurde im Internet das Geschichtsportal „Damals im Osten“ etabliert, um über die Erfahrungen der Menschen mit ihrer Vergangenheit zu berichten. Am 9. Oktober sendete der MDR zu erst ein 60-minütiges Themenmagazin im Fernsehen über die so genannte Wendegeneration, das im Anschluss mit weiteren Angeboten im Netz erweitert wurde. Das Webformat hieß „Meine Wende – mein Weg“; dazu waren Gäste im Studio und es wurden viele Social Media-Stimmen in die Sendung geholt, die von ihren persönlichen Erfahrungen in beiden Systemen berichteten. Der Weg vom Web ins TV ist aber das erklärte Ziel beim MDR, um Menschen, die sich im Netz bewegen, für das Fernsehen zu begeistern. Teils sei auch das Radio über Kooperationspartner mit von der Partie. Noch bleibt der MDR mit seinem Webformat auf der eigenen Webseite. Auftritte auf anderen Plattformen wie YouTube können durchaus folgen, so Brochhagen. „Wir sehen uns noch in der Entwicklungsphase und wollen zunächst möglichst viele Erfahrungen sammeln“. Allerdings setze der Sender stark auf Webkommunikation und Social Media, wodurch die Zahl der Facebook-Follower enorm angestiegen sei. Längst habe der Sender die Unterscheidung von Web und TV aufgegeben. Beide Formate von „Heute im Osten“ werden im selben Studio produziert. Das Webformat werde vollautomatisch abgefahren über einen so genannten Communicator, einen iPad. Dieser werde auch für das TV-Magazin eingesetzt, das allerdings auch noch eine Regie als Backup besitzt. „Wir haben beim MDR bereits 2009 angefangen, den gesamten Bereich Online nicht mehr zu trennen und uns darauf konzentriert, die Arbeitsprozesse für beide Medien zu entwickeln, diese auch zusammen zu denken.“

Der rbb mit „zibb“ als auch der MDR mit seinem crossmedialen Regionalfernsehen gehörten am Abend des 9. November zu den Preisträgern des Bremer Fernsehpreises, bei dem sechs herausragende Produktionen der ARD ausgezeichnet wurden: Zur besten Sendung wurden das rbb-Lokalmagazin „zibb – Zuhause in Berlin und Brandenburg“ und „WDR aktuell 12:45 Uhr“ gekürt. In der Kategorie „Einzelner Beitrag” gewann Dirk Blumenthal mit dem „buten un binnen”-Film „1.000 Meisterwerke: Hölzerne Stelen”. Das „beste Interview“ sendete der WDR in der „Aktuelle Stunde“ mit Jean Claude Juncker. Und der Preis für die „beste crossmediale Innovation“ ging an eine MDR-Sondersendung. Ausgezeichnet wurde auch das NDR/RB-Sonderformat „Tag der Norddeutschen“.

Bernd Jetschin
(MB 12/13_01/14)

© Radio Bremen/Michael Bahlo

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